Die begehrtesten Plätze sind die hinter dem Busfahrer, genauer die erste Reihe in Fahrtrichtung rechts vom Gang. Die Arme des Fahrgastes liegen auf der Trennwand zum Aufstieg, nichts verstellt das Gespräch mit dem Fahrer, der Blick senkt sich prüfend hinab auf Zusteigende. Wer den Bus besteigt, muss nicht nur an dem Fahrer vorbei, sondern auch Passagier Nummer 1 bestehen.
*
Der morgendliche Bus hinaus aus der Stadt ist fast leer. Ein hagerer, bedächtiger Mann lässt sich auf dem vordersten Platz rechts nieder. Seine mittellangen Haare stehen wild ab, die Wangen sind bartschattig, auf eine rustikale, nachlässige Art ist er gutaussehend. Eine Traurigkeit trägt der Bedächtige mit sich, zögernd eröffnet er das Gespräch mit der Busfahrerin, dann schüttet er ihr sein Herz aus. Seine Tochter hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden, er macht ihr Mut, sich durchzubeißen, und hat trotzdem Sorge, dass sie wieder einmal das Handtuch werfen würde, und nun macht die Busfahrerin ihm Mut.
An der nächsten Haltestelle steigt ein ganz anderer Typ ein, ein Lauter, hinkend, das Gesicht aufgedunsen. Offensichtlich irritiert es ihn, dass sein Stammplatz schon besetzt ist, also lässt er sich in der ersten Reihe links vom Gang nieder. Die Busfahrerin redet noch, der Bedächtige ist bereits auf dem Rückzug. Bei erster Gelegenheit wirft der Laute einen Satz ein. Es ist nicht gerade eine schlaue Bemerkung, die er macht, aber darum geht es nicht. Ihr einziger Zweck ist es, einen Wurfhaken auszuwerfen und das Gespräch zu entern. Der Laute schiebt seinem Satz eine hässliche Lache hinterher. Die Abwehr des Bedächtigen ist greifbar, er schweigt, lehnt sich zurück, die Busfahrerin gibt nur einen unbestimmten Kommentar von sich.
Der Laute, einmal das Ruder übernommen, muss rasch nachsetzen, um die Planken unter den Füßen nicht wieder zu verlieren. Er bringt irgendeine, letztlich beliebige Anekdote aus der Nachrichtenwelt des Vortages, wieder schließt er mit einer dreckigen Lache und lacht gleich noch einmal, völlig unpassend, weil konträr zum Inhalt seiner Worte. Aber er hat es geschafft, er steht nun auf dem Mitteldeck der Kommunikation.
Ein paar Minuten später ist das Trio beim Flüchtlingsthema angekommen. Die Busfahrerin und der Bedächtige äußern sich kritisch, doch menschlich nachvollziehbar, der Laute aber hetzt. Er beherrscht die Szene. Voller Selbstgefallen überbrückt er den Gang und rutscht auf den Sitz neben dem Bedächtigen. Blackbeard hat das Schiff endgültig gekapert, die Fahne der Freiheit ist eingeholt.
Hässlichkeit regiert.
Genau darum geht’s derzeit … Warum soll denn der Klügere immer nachgeben und den Dummen das Feld überlassen? Warum hört man fast überall nur noch die Lauten und übersieht die Pein der Leisen? – Großartig ge-/beschrieben, Holger!
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Danke sehr, Eberhard! Und ja, wir Stillen sollten lauter sein – ohne zu den Dummlauten zu werden.
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Ich bin eine von den Stillen. Ich mag zwar in Diskussionen einzelne Punkte machen, aber ich gewinne in der Regel keine Wortgefechte, eben weil ich zu wenig streitwillig bin. Trotzdem frage ich mich oft, wenn ich solche Leute wie den von dir geschilderten „Lauten“ sehe, wie ich darauf anders reagieren könnte als mit Ignorieren.
Davon ab mag ich deine Beschreibung.
Liebe Grüße
Christiane
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Ja, ich verstehe deine Frage sehr gut. Danke für deinen Kommentar!
Herzliche Grüße
Holger
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Die Lauten haben eben das Sagen, so ist das in unserer Gesellschaft, am Stammtisch, im Bus, im Bundestag,
und die schnellredenden Eloquenten natürlich,
wohl bekomm’s!
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Und trotzdem habe ich die Hoffnung, dass man auch stille wirken kann. Herzliche Grüße aus deinem Allgäu!
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Diese Hoffnung habe ich im Laufe der Jahre aufgegeben…
Schreihälse bestimmen überall das Geschehen, global sowieso, aber auch lokal…
Liebe Grüße zur Nacht vom Lu
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Wenn man das gestrige Streitgespräch zwischen Hofer/van Bellen auch nur teilweise gesehen hat oder die Schlagabtausche zwischen Clinton/Trump verfolgt hat, sei die Frage erlaubt, ob es für all diese Abgründe noch Steigerungen gibt, ich befürchte leider ja.
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Diese „neue Gesprächskultur“ ist beunruhigend, ja. Die Befürchtung teile ich.
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Wie im Kleinen, so im Grossen- die Lauten und Prolligen beherrschen die Welt, wer will noch feine Zwischentöne? Du, ich auch und viele andere eben auch, lassen wir die Lauten vor der Türe stehen, ja, es regnet, wenn schon …
danke dir
herzlichst Ulli
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Ja, die feinen Zwischentöne scheinen nicht sehr begehrt. Aber ich meine, sie können trotzdem wirken. Auch wenn manchmal die Lauten und Prolligen auch ein lautes, klares Wort notwendig ist. (Ein Übungsfeld.)
Sei herzlich gegrüßt!
Holger
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stimmt, es ist ein Übungsfeld- bei Kindern funktioniert es, wenn man selbst leiser wird, aber so richtige Haudegen … naja, die merken eh nur wenig 😉
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Was für ein Klasse Beitrag!
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Sehr herzlichen Dank!
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Wie präzise du dieses Übergriffige skizziert hast, das einen beinah selbst zu Grobheiten zwingt, um sich seiner zu erwehren!
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Aus einer müden Busfahrt am Morgen wurde eine Lektion in Beobachtung. Ob bereits die Grenze erreicht war, wo der Beobachter hätte aktiv werden sollen, will ich mir mal nicht beantworten.
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Eine klare, genaue Beobachtung; und: die Welt im Spiegel einer Busfrontscheibe.
Um den Lauten EInhalt zu gewähren, braucht es, scheint mir manchmal, andere Laute …
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Lernen müsste ich es …
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„Ein paar Minuten später ist das Trio beim Flüchtlingsthema angekommen….“ wieso sind die Busfahrerin und der Bedächtige mit ins Boot eingestiegen?
Ich erinnere mich an Busse, in denen war ein Hinweisschild angebracht: „Während der Fahrt ist das Sprechen mit dem Fahrer verboten.“
Durch Ihre atmosphärisch dichte Beschreibung wurde ich zum schwarzfahrenden Mithörer.
Morgendlichsonnigkalte Grüsse,
Herr Ärmel
PS: Die Grüsse habe ich überbracht und soll ebensolche retournieren
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Ach, Sprechverbote, die zählen auf diesen Linien nicht. Aber warum haben sich de Busfahrerin und der Bedächtige mit ins Boot holen lassen? Ihre Frage beunruhigt mich auch. Sie haben keine Grenzen gezogen. (Aber das habe ich ja auch nicht, auf anderer Weise nicht.)
Danke sehr für die Grüße und seien auch Sie selbst herzlich gegrüßt!
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Ich schrieb zwar wieso, aber Sie haben listig ein warum daraus gemacht. Fein.
Zu Warumfragen werde ich auch in diesem Jahr noch etwas schreiben.
Herzliche Grüsse,
Herr Ärmel
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Sehen Sie, da war ich nachlässig.
Herzliche Grüße zurück!
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Nein nein, ganz im Gegenteil. Sie haben mich aufgeweckt, um dem Unterschied zwischen wieso und warum nachzugehen.
Ich beschäftige mich angelegentlich damit, meine Wiefragen in Warumfragen umzuwandeln, bzw. mehr warum statt wie zu fragen. Das alles geschieht im Zuge bewussteren Sprechens.
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Dichte Busfahrgeschichte, einprägsam, nachdenklich machend…
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Danke dir und Grüße unter Wolken!
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Was für ein Text, wahrhaftig und dicht! Den Menschen beim Leben zugeschaut…daß sich ein schweres Herz einem anderen mitteilen durfte, das sich in Wärme geöffnet hat…das berührt mich sehr und stimmt mich hoffnungsvoll!
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Hoffnung ist wichtig, da hast du sehr recht.
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Der Gröhl-Faz. Jeder kennt ihn, doch Du nennst ihn beim Namen resp. bringst ihn in Erinnerung. Jeder von uns kennt ihn. Danke für den Auffrischer!
Schirrmi
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Danke dir für deinen Kommentar!
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