Was ist der Schrecken des Eises noch, wenn der Schrecken der Finsternis endlich aufgehoben ist?
Der Winter beginnt erst. Nachts wachgelegen, weil der Wind so ums Haus pfeift. Der Wind hält an. Auf halber Strecke von der Arbeit ein Schneegestöber, dass ich kaum ein paar Meter weit sehe. Die Haustür ist bis oben hin weiß verziert. Mir gefällt dieser Anfall von Kühnheit unserer längst altersschwachen Winter. Ich lasse mich anstecken und schnalle mir einen Rucksack um und trete nochmals hinaus und hinüber auf die nächste Endmoräne, zu Fuß einen Besuch abzustatten. Im Scheinwerfer der Fahrzeuge zieht der Schnee ganz flach in Wellenlinien über den Boden, wie Sand im Sturm. Dünen bilden sich, ihr Schwung reinste Schönheit. Eine weiße Wüste, zumindest für eine kurze Zeit.
Dauerhaft ist die Wüstenei in kultureller und kulinarischer Hinsicht, die Oasen sind erst zu finden. In der Küche zischt es, jemand hat Muscheln bestellt, dunkler Wein steht auf dem Tisch. Ob diese Pizza schmecken wird? Der vorherige Versuch war ein Reinfall, die italienischen Betreiber ganz und gar der Lehre von der Quantität verschrieben. Nichts, wirklich nichts an jener übergroßen Pizza hatte Geschmack. Berlin, denke ich und schaue in den Schnee hinaus und hinüber zu dem wuchtigen Kornhaus, ja Berlin kann es. Aber gut, was ist das auch für ein Vergleich, Berlin und Marktgemeinden wie, sagen wir einmal, Dietmannsried oder Obergünzburg, das ist doch ganz ein anderer Horizont. Andererseits, Flugzeuge heben in Berlin wiederum nicht ganz dort am Horizont ab, wo sie sollten, und was die Pizza betrifft, kann das meine Verwandtschaft im Steinofen mindestens so gut wie Berlin. Die Bedienung trägt die Teller auf und ich ahne …
Ahnte auch, dass Kühnheit manchmal Torheit ist. Winterwunderland ist Winterwanderland, nur nicht für mich, ich schniefe und schnäuze. Gen Morgen träumte ich, ich sei ganz kurz, für zwei, drei Tage vielleicht, zurück in Deutschlands sechstgrößte Stadt gezogen, geflüchtet gewissermaßen vorm Landleben, um dann wiederum gleich wieder ins Allgäu zu fliehen, wobei ich eben noch der Polizei – warum sie mich suchte, wusste ich nicht – entkam. Zurück im Allgäu blühte bereits der Löwenzahn, alles war gelb bis zum Horizont und im ganzen Traum kamen nur Frauen vor. – Im Schrank kein Kräutertee.
Schwedische Krimis auf dem Papier, schwedische Krimis auf dem Bildschirm, Dinge, für die ich mir sonst keine Zeit nehme. Schnee fällt. „Diese Einsamkeit, dachte er. Der schonische Winter mit seinen kreischenden, schwarzen Vogelscharen“, schreibt Mankell. Der Film hat kaum Farben, so wenig wie die Landschaft draußen. Bunt nur die Sekrete aus meinem Leib. Wieder ein Abend, der die verhasste Nacht mit sich bringt. Es ist still bis auf den rauen Atem. Selbst die Blaulichter im Tal ganz ohne Laut.
Der Schnee wird feucht, er sackt zusammen, die Eiszapfen schon wieder verschwunden. Das Bellen einer Füchsin im nahen Wald. Rot morst das Windrad sein ewiges – – –
Und dann das Gelächter beim Post eines Onkels, der den Winter mit seinem Cavaquinho im Gepäck in einem warmen, sonnigen Land der Neuen Welt verbringt und dort von Freunden mit einem Geburtstagskuchen überrascht wurde. „I was so overwhelmed that I had to yodel!“, schreibt er.
The urge to yodel — unterschätzte Bedürfnisse.
Ansonsten: Besserung. Baldige!
(Ist mir ja schon ein paarmal so gegangen: erst warn Sie krank, dann wiurde ich’s … Ich hoffe, ganz selbstsüchtig, Ihre Erkältung findet nicht so weit in den Norden.)
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Ein unterschätztes Bedürfnis – allerdings auch eines, das auszuleben erst gelernt werden muss. (Inzwischen gibt es ja Jodelkurse. Wenn es mir mal langweilig werden sollte, kann ich einen solchen ja auch mal besuchen.)
Vielen Dank. Tatsächlich hatte nichts mehr gefehlt zur Genesung als die Verwandlung von einem unleidigen „Ich habe nichts zu sagen“ zu einem Blogpost. Und bleiben Sie bitte gesund!
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(Ähäm. Sie haben angefangen.)
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Dinge, die ich verdrängt hatte …
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Lieber Zeilentiger, Sie verstehen es, einem den Atem stocken zu lassen für Momente des Lesens in Ihrem famosen Text. Der Winter ist grausam. Die Einleitung erinnert an Ransmayr, den hotelbewohnenden Frauenleserliebling. Damals habe ich seine Werke noch gelesen. Strahlender Untergang und die Schrecken des Eises und der Finsternis. Mit der grandiosen Eindeutschung einiger Verse des Buches Hiob.
Der Winter. Ebenso grausam und überflüssig wie der Hochsommer.
Frühling und Herbst sind geschaffen für gemässigt horschende und guggende Menschen. Und sie sind für diese beiden meilden Jahreszeiten erschaffen.
Das Werden und Vergehen sind gerade genug. Wer braucht da noch Verbrennung und Tod?
„Rot morst das Windrad sein ewiges.“ Glücklicherweise verstehen Sies es gleichermassen, Ihre Leser nicht in Trostlosigkeit zu entlassen in die Irre zu gehen denkend oder fühlend.
Abendgruss von weit im Nordwesten, nebelländisch. Und die indigenen Bewohner zumeist auf Ziegenfüssen unterwegs und einen Tacken zu langsam Unbedeutendes sprechend.
Ihr Herr Ärmel
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Lieber Herr Ärmel,
in was für einem merkwürdigen Land sind Sie denn gelandet? Nebelländisch, das klingt bedrückend, hat aber noch einen gewissen Charme. Aber die Ziegenfüße? Das langsam Unbedeutendes sprechend? Möge es Ihnen dort gut ergehen.
Für Ihr Atemstocken und Ihre wohlwollende Aufnahme herzlichen Dank. Und Sie haben natürlich völlig recht: Da spricht der Ransmayer aus dem einleitenden Satz. Denn sein Buch habe ich derzeit am Leseplatz, übrigens tatsächlich zum allerersten Mal. Warum lesen Sie ihn inzwischen nicht mehr? Ich merke, Sie wissen mehr über ihn und über seine Werke.
Richtig, ich will Leser nicht in die Trostlosigkeit entlassen. Diese wird uns immer wieder begegnen, aber dabei soll es nicht aufhören. Dass die Welt trotz allem Schönes hat, das ist auch mir wichtig. Wenn auch Sie das wertschätzen, freut es mich umso mehr.
Nur in einem widerspreche ich Ihnen. Der Hochsommer – er ist mir die liebste aller Jahreszeiten. Da vergehen so viele Fragen und wenn man’s sich äußerlich ein bisschen einrichten kann (frei von der Knechtschaft gesellschaftlicher und beruflicher Zwänge), bleibt reine Köstlichkeit.
Abendgrüße aus dem Süden
Ihr Zeilentiger
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Strahlender Untergang war mein erstes Werk von C.R. Danach Die Schrecken des Eises und der Finsternis in der feinen Ausgabe des Brandstätter Verlages mit den Fotografien von Rudi Palla. Es ist quasi der Paralleltext zu Nadolnys Entdeckung der Langsamkeit. Der erste Knacks. Die Entdeckung fand ich wesentlich besser kompniert als die Schrecken.
Dann Die letzte Welt. Die fand ich noch so lalá. Bei Morbus Kitahara folgte dann der Ausstieg. Von Ransmayr wird in viel weniger als hundert Jahren schon niemand mehr sprechen. Und ich schon jetzt kaum noch.
Lesen Sie, lieber Zeilentiger, bei nächster Gelegenheit „Trommler beim Zaren“ (Stalhberg, 1966) von Arno Schmidt. Erlesen Sie sich die Kunst der Literatur und haben Sie viel Freude und Spass dabei.
Was nun den hiesigen Landstrich betrifft, von dem übrigens Herodot schrieb, dass es hier sechs Monde dunkel sei und Menschen auf Ziegenfüssen herumliefen. Was mich inzwischen fast noch mehr Kraft kostet, ist das Idiom der indigenen Bevölkerung. Ich hielt das Langsamgesabbel des TV-bekannten Dünnwitzphrasendreschers R.H. ursprünglich für einen Kunstkniff. (Der stammt ja hier aus der Gegend und macht ausgerechnet für das schlechteste regionale Bier Werbung. Es bleibt dem aufmerksam Reisenden nichts erspart.).
Nö, die Einheimischen reden fast alle so. Im Bembelland sagt man solchen Leuten nach, dass „man ihnen beim Laufen die Schuhe besohlen könne.“
Ich fürchte mittlerweile noch viel Schlimmeres, denn die bewegen auch in ebendieser Weise ihre Kraftfahrzeuge im öffentlichen Raum.
Ihren Widerspruch nehme ich gelssen hin, wenn mich nur jemand befreit aus dieser Gegend.
Ihnen einen schönen Abend,
Ihr Herr Ärmel
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Ich bin so unwissend.
Ransmayer habe ich ja gewissermaßen von hinten her gelesen. Mit dem „Atlas eines ängstlichen Mannes“ angefangen, was mich mit seinen ersten der insgesamt 70 Episoden ungeheuer beeindruckt hat. Leider hält das Buch keineswegs die Versprechungen des Anfangs. Und mit Ihrer Weissagung (in 100 Jahren …) mögen Sie wohl recht haben.
Arno Schmid. Ich sperre mich, immer schon. Was Sie mir von ihm erzählten, gefiel mir. Das, was ich als A.S. in Erinnerung habe – die elenden Spielereien mit der Typographie usw. – haben mich erfolgreich von jeder tieferen Auseinandersetzung abgehalten.
Staunend verfolge ich Ihre Schilderungen eines fremden, ungeheuren Landes. Schon der Herodot also wusste es … Um den Bogen zur Unwissenheit zu schlagen: Ich habe keinen Schimmer, wer R.H. sein könnte. Oder welchen Zungenschlag Sie genau meinen.
Bewahren Sie Ihre Nervenstärke!
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Vergessen Sie bitte die vier Typoskripte. Nein, merken Sie sich bitte eins davon: Abend mit Goldrand. Für wenn Sie fünfundsechzig sind.
A.S. war ein Meister der kleinen Form. Oder auch das hier: Aus dem Leben eines Fauns. Gelesen von Ulrich Wildgruber: http://www.br.de/radio/bayern2/inhalt/hoerspiel-und-medienkunst/hoerspielpool-288.html
….geniessen Sie bitte
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Wenn Dämlichkeit Trägheit beklatscht. Wer das Volk hassen lernen will, schaue sich die deutschen Fernsehklohns an, besser jedoch ihre Zuklatscher:
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Ich merke: Meine Unwissenheit kann gelegentlich auch wirklich Gnade sein.
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Da hatte ich – oh Zufall – heute im Krankenhaus ein ähnliches Glückserlebnis. Ich wusste nichts über Sendeanstalten wie RTL (II) oder Kabel irgendwas und dergleichen zu sagen und mitzusprechen.
Als ich mich mit meiner Unkenntnis zu QVC(?) outete und nicht wusste, dass es dort 2 (zwei!!!) Wolldecken zu 19,80€ zu kaufen gäbe, wurde ich bestaunt als sei ich geradewegs vom Mars zu den kranken Menschen gekommen . . . .
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Lassen Sie uns zum Mars zurückkehren!
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Nach wie vor finde ich alle Werke von Ransmayr sehr lesenswert,
selbst den Atlas, insbesondere aber das große Poem über die beiden irischen Brüder!
Das ganz neue Buch von ihm habe ich allerdings noch nicht gelesen, werde ich aber…
im Gegensatz zu den seltsamen Kopfgeburten des Arno Schmidt.
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Ich weiss nicht, ob Du die Geschichten aus der Inselstrasse kennst oder die Stürenburggeschichten. Kopfgeburten? Niemals. Pauschalurteile treffen selten bis nie zu.
Morgengruss aus dem Bembelland,
Herr Ärmel
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Das stimmt wohl, bis auf eine Ausnahme: Arno Schmidt!
Wie du dazu kommst, zu behaupten, dass man in 100 Jahren nichts mehr lesen wird vom Ransmayr, ist mir ein absolutes Rätsel, und von dir genau ebenso pauschal verurteilt!
Morgengrüße vom Lu
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…weil die meisten Autoren, die vorwiegend sich selbst zum Inhalt ihres Schreibens machten, nach einer mehr oder weniger langen Zeit kaum noch gelesen werden. Ausser aus wissenschaftlichem Interesse. Das ist von jedem interessierten Literaturliebhaber relativ einfach nachzuprüfen. Ich habe mich intensiv mit der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts beschäftigt. Schon da kann man das sehen. Und da gabs deutlich weniger Publikationen als auf dem heutigen Massenmarkt. Von der ersten grossen Romanwelle der Barockliteratur ganz zu schweigen.
Und ich erspare mir, hier eine Liste anzulegen mit Namen, die in den 1960er oder 1970er Jahren sehr hoch gehandelt worden sind. Leute, die schon heute so gut wie vergessen sind.
Es geht auch nicht um die persönlichen Literaturvorlieben oder Lieblingsautoren, sondern um die Epochenentwicklung schlechthin.
Da gehen wir wahrscheinlich von verschiedenen Voraussetzungen aus.
Den ersten Satz Deines Erwiderungskommentars verstehe ich weder dem Sinn noch der Absicht nach. Aber das macht nichts, ich wollte es nur nicht unter den Tisch fallen lassen.
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Das war nur eine kleine Provokation,
weil du doch einer der größten Pauschalverurteiler im Netz bist,
wie mann/frau jederzeit in deinem seeeehr ichbezogenen Blog nachlesen kann.
Also, was willst DU über Ransmayr und co urteilen? Das steht dir überhaupt nicht zu!
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Meine Herren, wie schnell sind wir in Gefahr, vom Urteilen zum Verurteilen zu kommen. Derweil: Schnee fällt, wieder einmal, und legt sich still übers Land.
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Schnee drüber…
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„…weil die meisten Autoren, die vorwiegend sich selbst zum Inhalt ihres Schreibens machten, nach einer mehr oder weniger langen Zeit kaum noch gelesen werden.“ Eine interessante Überlegung. Dem Gedanken bin ich so noch nicht nachgegangen.
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Davon in einem persönlichen Gespräch gerne mehr und vertiefend. Sie kennen ebenfalls Autoren des 19. Jahrhunderts und in jener Zeit begann die erwähnte Entwicklung.
Ihnen einen gediegen schönen Abend,
Herr Ärmel
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Sehr gerne!
Auch Ihnen einen zufrieden schönen Abend.
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Zwischen Stadt und Land lese ich zum Teil aus deinen Zeilen, einem Ziehzergel, das mir so bekannt vorkommt, aber dann eben jetzt doch schon lange Land, nicht nur einfach Land, auch Berg und viel Winter, viel Stille, wenig Farbe, oft Wind, auch Schnee, der sich so hoch türmt, dass kein Stapf mehr geht, wenigstens nicht ohne Skier, aber ich bestehe darauf, ich bin Flachländerin- irgendwas ist da verquer und doch, hier ist wirklich noch Winter- eine sehr spezielle Qualität, die mich schon in einige Tiefen führte-
ich grüsse dich herzlich und habe wieder deinen Text voller Freude gelesen
Ulli
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Schau her, jetzt habe ich ein neues Wort gelernt: Zergel. Liebe Ulli, du bist Flachländerin? Das war mir noch gar nicht bewusst. Ja, vielleicht doch irgendwie, aber der letzte Gedankengang hat gefehlt, da ich dich immer auf den Höhen vor mir sehe. Die Tiefen plagen dich hoffentlich nicht mehr so oft! Ich wünsche dir Freude und Heiterkeit. Heute, übrigens, regnet es hier, wer weiß, wie es morgen aussieht.
Danke für deine schöne Rückmeldung und herzliche Grüße
Holger
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Ja, lieber Holger, Berlin ist mir auch nicht fremd, dort lebte ich lange Zeit bevor ich in die Berge zog, von daher hat dein Artikel vieles in mir angerührt.
liebe Grüsse vom stürmischen Berg, gestern Regen, dann Eisregen, jetzt Schneeregen, uselig ist das…
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Gute Besserung und viel Erfolg bei der Nahrungssuche!
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Danke dir, das sind sehr pragmatische, ja nüchterne und dabei wirklich außerordentlich wichtige Wünsche.
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Haha!
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