Die Autobahn fällt vor mir ab, ausgebreitet wie ein Geschenk über das Illertal hinweg, und in der Nachmittagssonne flimmert die Luft über den Autos, als wären sie zitternde Käfer in Sommerglut, und John Paul Jones setzt zu seinem Synthesizer-Intro an, diesen unverwechselbaren psychedelischen, schwirrenden Klängen, die vage an Indien erinnern, an ein schrilles Blasinstrument in der meditativen Selbstvergessenheit eines Ragas, und das Auto gewinnt an Fahrt und Jimmy Page streicht mit einem Violinenbogen über die Saiten seiner akustischen Gitarre und die Berge im Süden schimmern weiß und plötzlich reißt dieser Schleier wieder auf und für einen Augenblick ist die Welt so überwältigend schön, dass mir Tränen in den Augen stehen. „In the light you will find the road, you will find the road“, singt Led Zeppelin. Eine Kette an Wagen fährt ab von der Autobahn, Belgier und Holländer, Pottbewohner und Schwabenleute, alle wollen sie nach Oberstdorf oder Bad Hindelang oder ins Kleinwalsertal. Die Autobahn ist jetzt fast leer vor mir, sie schwingt sich die Hügel empor und ich jubel auf meiner Flucht vor dem bohrenden Schmerz in meinem Schädel, diesem Wochenverarbeitungsschmerz, dem Ruhe nicht hilft und der doch kaum etwas zulässt.
Außer Gehen.
Aigis, dieses Donnerfell der griechischen Mythologie, diese Drohung der olympischen Götter gegenüber den Sterblichen, ist zugleich ein kleines Dorf in den Allgäuer Voralpen, gute 900 m über dem Meeresspiegel, eine Kapelle, eine Reihe von Ferienwohnungen, eine Koppel voller glänzender Pferde. Ich schreite aus dem Dorf hinaus, hinein ins Galtviehschachen, Matsch, Schnee, Gras, Nadelteppich, über fast menschenleere Wege, an gelb blühenden Blumen – den ersten gelben Blüten dieses Jahres, die ich sehe – vorbei sehr steil hinab ins Tal der Jugetach und längst ist der Kopf frei. Ausschreiten ist Medizin, ist Lebenselixier und ohne diese Gänge hinaus wäre dieses sitz- und wände- und denk- und bildschirmlastige Leben überhaupt nicht auszuhalten, sage ich mir. Zugrundegehen würde ich, sage ich mir, als ich über die an den Rändern ausfransende Holzbrücke hinübergehe. Zugrundegehen, wiederhole ich, und daher steige ich flott über den vereisten Weg nach oben, aus dem Wald hinaus, über den grasigen Pfad hinauf, muss längst schnaufen, durch den Mund atmen, aber genau das tut mir gut.
An der Königsalpe schneide ich eine andere Spur. Ich setze mich nieder für einen Kaffee, denn es ist ein herrlicher Platz. Eine Tasse lang genieße ich den Frieden dieses Ortes, dann geht es weiter. Denn ich könnte in die Dämmerung geraten mit meinem Gang und außerdem will ich ja wieder zurück sein, wenn das Feuer entzündet wird. Meine Schritte sind Freiheit, sind Freude.
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Die Funkenhex brennt auch im Regen gut. Die Flammen schießen in die Höhe, Funkenglut treibt der Wind in den Nachthimmel, Rauch rankt sich einem tobenden Panther gleich um die brennenden Äste und Balken herum, es ist ein Glosen, Knistern, Glühen, Lodern, Sengen. Der Regen treibt die Menschen näher ans Funkenfeuer, die Hitze zurück. Jemand verteilt köstliche Krapfen. Der Regen verdichtet sich zu schweren Flocken. Das Funkenfeuer kümmert es nicht. Die Glut wird, versichert ein Bauer, nächstes Wochenende noch warm sein. Über Hunderte von Kilometern und über Ländergrenzen hinweg brennen an diesem Abend die Feuer. Zumindest einige zu sehen von einem Berggipfel herab, das müsste doch schön sein, überlege ich, leuchtend dort unten in der Welt der Menschen.