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Einmal in vier Wochen fahren wir nach Kanada

In den Seitenstraßen ist es sehr ruhig. Die Sonne strahlt und ein Frieden liegt über allem. Wir wähnen uns eher auf einem morgendlichen Osterspaziergang denn an Neujahr kurz vor Mittag.

Es ist beinahe so mild wie am Vortag, also sind wir erneut zu einem Ausflug aufgebrochen und spazieren in Lechbruck los. Ich versuche jedes Jahr, an einem Tauwettertag hierherzukommen. Ich mag die Landschaft, ich mag die Grenzlage am östlichsten Rand des Allgäus, ich mag die Erinnerungen an jeweils frühere Wanderungen hier. Dazu gehören auch die unzähligen Wasservögel in den Staustufen des Lechs. Schwäne gründeln in aller Gelassenheit, Enten verschiedenster Art eilen hin und her, Gänsegeschwader erheben sich mit knallenden Flügelschlägen oder landen rauschend im Wasser, in dessen Seitenarmen an solchen Tagen noch das Eis klirrt, die Sonne aber bereits voller Versprechungen lockt.

Die Schritte rascheln im trockenen Laub. Der Pfad schenkt Wärme am Rande von Buchengehölz, dann führt er hinein in den Wald in ein traumartiges Licht, in einer Senke stehen Schilf und Moorwasser, immer wieder fängt ein Alpengipfel den Blick ein.

Später, am Lechufer, werden die Spaziergänger häufiger. Ein älteres Paar sitzt auf einer Bank und meine Frau, hungrig wie die Kinder, spricht sie an. Der Überfall, mir ein wenig peinlich, gelingt: Bereitwillig gibt die Rentnerin ihren Platz frei. Ihr beleibter Begleiter aber bleibt noch sitzen für einen Plausch. „Einmal in vier Wochen fahren wir nach Kanada“, breitet er die Arme mit den Wanderstöcken aus. Er umgreift mit der Bewegung das grüne Wasser des Flusses, die Nadelbäume an seinen Ufern, die schneebedeckten Berge gleich dahinter. Nur die vielen Kondensstreifen am Himmel passen nicht ganz zu lonely Canada.

„Wo seid’s ihr her?“, fragt der Mann aus einer oberbayerischen Stadt dann und lässt seine Begleiterin gern noch ein bisschen warten.

„Ach! Zehn Jahre lang habe ich den Wochenmarkt in Kempten mit einem Fischstand besucht“, holt er nach unserer Antwort aus. „Das hat mir immer gefallen. Meine damalige Frau war ein Morgenmuffel, die hielt nicht viel davon, aber für mich war es wunderschön. Frühmorgens ins Allgäu fahren, den Stand aufbauen auf dem Hildegardplatz. Immer kamen da strahlende Menschen auf den Markt. Und ich hatte junge Mädchen als Standhilfen, das hat mir auch Freude gemacht. Sie bedienten und ich konnte draußen stehen und in aller Ruhe mit der Kundschaft schwatzen.“

Der winterliche Lech

Unseren Kindern hat es in Kanada übrigens auch gefallen. Auf jene schmale Brücke, die vom Dorf hinüber ins Oberbayerische führt – für mich der Ort, an dem sich am deutlichsten so etwas wie eine Grenze des fluiden Allgäus manifestiert, mehr als in jede andere Himmelsrichtung und damit auch die Staatsgrenze nach Österreich hinüber – wollte die Ältere nicht. Aber an der Stromschnelle, wo der Fluss noch einmal Fahrt aufnimmt vor der nächsten Staustufe, stand sie lange und wollte nicht weiter zum nahen Auto. Und für den Einstieg brauchte sie dann eine andere Art von Brücke: einen Haselnussstecken, den sie aufgesammelt hatte und einem heiligen Gegenstande gleich mit ins Fahrzeug trug.

Geister ihrer Zeit

A day off vom Familienleben. Es ist zu warm für den Jahreswechsel und es ist zu nass für eine Wanderung. Trotzdem breche ich auf. Ich erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal alleine wandern war.

Am Ortsrand parke ich an einem Landmaschinenbetrieb, schalte den Motor ab und schaue hinaus in den Regen. Ich habe nichts zu tun, keine Verantwortung, einfach Freiheit. Mir wird fast schwindelig.

Drüben ragt der vor Zeiten aufgeschüttete Bahndamm empor. Der Bach, der einst das Tal beherrschte, ist in einen Tunnel gezwängt tief unter den Gleisen. Es sind solche Eingänge in die Tiefe, die schrecken ob ihrer Schwärze und zugleich verlocken, weil da keine Tür ist, kein Gitter, keine offensichtliche Grenze zwischen unserer Welt des Lichts und dem Unnennbaren dahinter.

Ein mit Vollgas startender Postwagen schreckt mich auf. Ich steige aus und lasse den Ort auf der Landstraße hinter mir. Erlen, nackt und farblos, krängen über das Wasser eines Fischteichs. Ein Quad knattert zwischen den Hügeln. Der Regen hat ausgesetzt.

Ich trete von der Straße hinunter zu einer umfriedeten Quelle. Es ist der Ursprung eines Voralpenflüsschens, genauer seines östlichen Arms. Über den westlichen war ich als Kind tausendfach auf meinem Schulweg geschritten. An Kaltwasser gewohnte Winzlinge leben hier, lese ich auf einer Schautafel: der Alpenstrudelwurm und eine Quellschnecke, die nur im bayerischen und oberschwäbischen Alpenvorland vorkommt. Das Kneippbecken wirkt fehl am Platz zwischen dem Wind, den Winterwiesen, der Einsamkeit der Landstraße. Ein Schild quietscht, die nahen Fichten rauschen.

Ich biege auf eine Nebenstraße ab und passiere einen ehrwürdigen Birnbaum. Staune über seinen Umfang. Es bräuchte mich doppelt, um den Stamm mit den Armen zu umfassen. Eine Krähe fliegt auf und ein wartender Mensch entpuppt sich beim Näherkommen als Eckpfahl. Es sind die Formen, welche die Geister annehmen, um nicht erkannt zu werden. Wieder fährt ein Zug vorbei, bereits der vierte, seit ich das nahe Dorf verlassen habe, und das auf dieser Strecke abseits der großen Trassen, und ich frage mich, welcher Natur die Geister hier wirklich sind.

Vor zwei Nächten tobte ein Raunachtssturm über unserem Hügel. Unruhe erfasste uns alle. Als wir zu Bett gingen, schloss ich das Babytürgitter oben an der Treppe. „Warum tust du das?“, fragte meine Frau, denn eigentlich benötigen wir es derzeit nicht für unsere Kinder. „Um die Geister draußen zu halten“, antwortete ich. In manchen Nächten brauche ich das in unserer Wohnung.

Zwillingsbuchen schmücken eine Anhöhe, ihre kahlen Kronen gleichen zwei Lungenflügeln. Zwischen ihnen ruht ein Kruzifix. Das ist dann also das Herz des Ortes, das in einer katholischeren Zeit zu schlagen begonnen hat und vielleicht schon viel früher, in anderer Gestalt.

Das Sträßchen führt höher hinauf, an knarzenden Eschen und gewaltigen Brennholzbeugen vorbei. Für ein paar Augenblicke spüre ich den Wind nicht mehr. Der Blick lichtet sich, selbst unter der tiefen Wolkendecke. Die Gleise schwenken unten ab in einen Forst, Sankt Alban sehe ich, dort hinten versteckt sich der Auerberg mit seiner interessanten Historie im trüben Himmel und südlich davon, jenseits all der Fichtenwaldungen, Moorwiesen und von Mäusen zerfurchten Weiden, das Ammergebirge.

Das Asphaltsträßchen windet sich nach links hin zu einem Einödhof mit traurigem und selbst schon alt gewordenen Austragshaus. Schilde verweigern den Zutritt zum Gelände. Im Hof steht einer breitbeinig in Arbeitskluft und starrt zu mir herüber. Ich kann sein Gesicht nicht erkennen, doch ich bin mir sicher, dass er mich taxiert. Ein fast zugewachsener Feldweg führt an der Biegung geradeaus. Ich nehme ihn, froh über den angenehmeren Untergrund. Der Weg führt rückseitig um das Gehöft herum, aber auch hier stehen – obgleich auf meiner Karte als Wanderweg ausgezeichnet – „Durchgang und Durchfahrt verboten“ und „Warnung vor dem Hunde“. Hier will jemand wirklich seine Ruhe haben. Also folge ich Hufspuren geradeaus und biege erst am Waldrand scharf nach links ab.

Regen setzt wieder ein, ich steige den Hang hoch, passiere einen mit luxuriösem Metallgeländer ausgebauten Jägerstand. Dann erkenne ich leicht zurückversetzt zwischen den Bäumen einen uralten Wohnwagen, die vergilbten Vorhänge sind zugezogen, ein toter Ort. Es schaudert mich. Daran ändert auch die rosafarbene Kinderschaukel an einem verdrehten Seil nichts. Für Kinder mag es ein großartiger Spielort sein. Mein Gefühl flüstert etwas anderes. Ich schreite schneller aus. Das Rauschen von Windrädern setzt ein. Ich sehe die Rotorblätter nicht, sie müssen sich jenseits des Gehölzes drehen.

Meine Route führt mich wieder näher an den Hof heran. Das gefällt mir nicht. Ich gehe immer noch flott, vorbei an langen Reihen von säuberlich geschichtetem Brennholz und bin froh, als ich den Hof endgültig im Rücken habe.

Der Wind pfeift mir auf der nun baumlosen Hochfläche um die Ohren. Wohin ich schaue, drehen sich Windräder. Der Horizont im Westen leuchtet hell, der Regen hat bereits wieder alle Kraft verloren. Das Wasser auf dem Schotter des Feldwegs ist so klar, dass ich es trinken möchte. Ich passiere einen Weiler, der schon fast ein Dorf ist, verpasse meine Abbiegung zu dem Pfad, über den ich hatte hinabsteigen wollen, und durchquere ein zweites Örtchen. Ein Tipi lässt seine stockfleckigen Zeltwände hängen. Scharf ist der Kontrast zwischen seit Generationen nicht erneuerten und aufgegebenen, aber noch immer bewohnten Gehöften und dem sauberen, gar zu sauberen, stolzen bewirtschafteten Bauernhof. Menschen sehe und höre ich keine. Nur Krähen begleiten mich auf den Windungen hinab ins Tal. Dann schreite ich querfeldein hinab auf einen Findling zu zwischen zwei Bäumen: ein Brocken von Moos bewachsenem „Herrgottsbeton„, flankiert von Birke und Linde, zitternd im Wind.

Am nächsten Waldrand sehe ich wieder die Kirche des Dorfes. Unten am Bach steht, wie mit dem Lineal zum Rechteck gezeichnet, ein Auwald aus hohen, dicht gepflanzten Pappeln, drüben glänzt die moderne Papierfabrik. Ich überquere den Bach, steige zwischen feuchten Häusern und Bergen schwarzglänzenden Laubs zur Straße hoch und habe wieder das Schloss vor mir, das ein Fürstabt als Ersatz für ein verfallendes Jagdschloss im 18. Jahrhundert errichten ließ, als das Land noch nicht zu Bayern gehörte. Seine Wände sind in einem dunklen, warmen Gelb gestrichen, einem Farbton, der in dieser Region auffällt. Die Nebengebäude zeigen Spuren der Vernachlässigung. Wer kann schon noch ein Schloss erhalten …

Als ich am Fahrzeug anlange, spüre ich Mattigkeit. Das Leben mit kleinen Kindern fordert seinen Tribut, denn nun macht mich schon ein Spaziergang müde. Ich lege den winzigen Schreibblock mit meinen Notizen auf den Beifahrersitz, starte den Motor und fahre nach Hause.

Freiheit

Zum ersten Mal habe ich an dem mir ja aus gerade diesem Grunde stets so verhassten Silvester nichts getan, was ich nicht machen wollte. Habe mich zu nichts gedrängt gefühlt, zu nichts überwinden müssen, bin keine schalen Kompromisse eingegangen, gleichzeitig keine Spur von Verlust, Entfremdung, Begrenztheit. Versenkung war die richtige Wahl. Von einer Viertelstunde vor Mitternacht bis eine Viertelstunde nach derselben saßen wir in Meditation. Irgendwo dort, da, drüben krachte und knallte und rauchte es. Hier ein stilles Lächeln auf den Lippen.

Von der Wasserreserve bei Wildberg aus öffnet sich ein wunderbarer Blick: auf die Alpenkette, hinüber ins Oberbayerische, das im Dunst verschwimmt, hinunter ins Alpenvorland. Das Neujahr zeigt sich sonnig wie schon die letzten Tage. Selten schenkt diese Jahreszeit der Raunächte so viel Licht wie dieses Mal. Schnee liegt auf den Hügeln immer noch keiner, nur droben in den Bergen, die Flanke der Pleisspitze leuchtet gleißend auf. Hier unten knisterndes Gras, knirschendes Laub, knuspernde Erde, krachende Platten. Eis und Frost herrschen auf unserem Weg und Lichtbahnen zaubern zwischen den Bäumen.

Die Gäste konnten nicht kommen, eine Krankheit hatte sie im letzten Augenblick doch noch aufgehalten. Es galt das Beste daraus zu machen. Anstatt das vegetarische chinesische Menü aufzutischen, kochte ich über einen langen, gemächlichen Abend hinweg immer wieder nur ein Gericht. Wir aßen, wir genossen, wir machten etwas anderes, bis mir einfiel, ich könnte jetzt doch das nächste Rezept ausprobieren. Selten erlauben wir uns so viel Freiheit.

Die Hohe Schulter

Oben auf der Kuppe steht, am Ende des Asphalts, ein Auto, die Scheiben halb heruntergelassen, Licht und Wind ausgesetzt. Der dicke Mann im Wagen mustert mich aus den Augenwinkeln, aber den Blick erwidert er nicht, also grüße ich nicht. Der dicke Mann schließt seine Augen und döst, in seinem Auto auf der Höhe, auf der Scheide zwischen dem östlichen und dem mittleren Allgäu.

Die Hohe Schulter ist eine markante Erhebung, markant deshalb, weil nicht von Fichten überzogen wie ihre Fortläufer nach Norden und Süden. Die Hohe Schulter ist von Gras bewachsen und auf ihr die Kronen zweier üppiger Laubbäume, aus der Ferne schon zu sehen. Sie ist eine jener Landschaftsmarken, die auf den ersten Blick schon zu Sehnsuchtsorten werden, locken, verzaubern, Geheimnis und Versprechen zugleich.

Ich weiß nicht, ob ich mich traurig, lächerlich oder aber erhaben fühlen soll, als ich die Höhe besteige und irritiert meine überflüssigen Pfunde spüre. Hatte ich das nicht ändern wollen? Bringe ich überhaupt irgendetwas zu Ende, das ich angehe?

Wind rauscht, Grillen zirpen, die Alpenberge im Süden sind halb verborgen von um die Schultern geschlungenen Regenmänteln. Unter mir der matte Spiegel des Notzenweihers, birkenumsäumt. Aus der Nähe ist sein Moorwasser braun, auf der Wiese davor hatte ich mir einst einen meiner schlimmsten Sonnenbrände geholt in jener Woche, in der ich alle sechs Bände „Durch die Wüste“ zum zweiten Mal gelesen, wie von Sinnen in mich aufgesogen hatte, um danach nie wieder ein Buch von Karl May in die Hand zu nehmen. Drüben dann, im Osten, der Auerberg, eine weitere markante Höhe, noch ein Sehnsuchtsort, am Rande des Allgäus, die Schatten dahinter liegen bereits im Lechrain, im Pfaffenwinkel.

Ich drehe mich um, passiere das Auto auf der Höhe und vor mir öffnet sich das Illertal. Cumuluswolken türmen sich himmelwärts. Andere, grauere Wolken zerteilen das Licht der Sonne in Strahlenfächer. Dächer leuchten auf drüben im Westen. Ganz nah das Auf und Ab des Sträßchens, über das ich heraufgekommen bin. Als ich ein Kind war, brachte meine Mutter über diese Straße Wolle zum Kardieren, zum Kämmen, um sie fürs Spinnen bereit zu machen. Wo damals die Weberei zwischen den Hügeln lag, steht nun ein Schild „Kunstakademie Allgäu“. Die Felder blütenloses Grün, die Kühe enthornt, Windräder da, da, da.

Ich folge einem Pfad über den Hügel, an Bäumen und Bänken und Blumen vorbei. Ich suche etwas, suche einen Ort, um ihn anderen zu schenken. Ich finde ihn nicht, mache kehrt, gehe über den Wiesenpfad zurück, an dem Auto vorbei, den Feldweg hinab, dem Wind vornweg. Die Eschen, wird mir da erst bewusst, vor vier Wochen noch kahl, stehen da in Fülle.

Ein stakender Reiher erhebt sich …

​Ein stakender Reiher erhebt sich, erst am anderen Ende des Sees wagt er einen entrüsteten Ruf und quert dort mehrmals über dem Wasser. Ein Sirren in den Schwarzerlen löst die Stille des Fichtenholzes ab. Es frischt auf. Lange bleibe ich an der kalten Asche eines Lagerfeuers nicht sitzen.

*

Weit in den Osten des Landkreises bin ich gefahren, um meinen Pflichten nachzukommen. Die junge Frau im Landratsamt widerlegt mit ihrem Lächeln alle vermeintlichen Fährnisse von Amtsbesuchen, wie ich ja überhaupt seit Jahren auf Ämtern fast nur freundlichen Mitarbeitern begegnet bin. Die Schulungen scheinen Früchte zu tragen, das Wort Bürgerservice Inhalt zu gewinnen – zumindest solange man die Grenzen einer bürgerlichen Rolle nicht austesten muss oder will. Die junge Frau also lächelt und der Klang ihres Dialektes entzückt mich. Plötzlich erscheint sie mir schön.

*

Ein Bauer sägt im Holz, ein anderer zieht einen Entwässerungsgraben ins Feld. An der Fassade eines Einsiedelhofes laufen grüne Streifen herab, als hätten die Fensterläden geweint. Der Hof sieht unbewohnt aus, aber das muss nicht unbedingt so sein. Manchmal gibt es sie ja immer noch, diese heruntergekommenen Gehöfte unter der Hand eines heruntergekommenen Eigenbrötlers, bis die Behörden kommen, weil der Bauer das Vieh schindet.

Der nächste Weiler hingegen zeigt sich ganz schmuck und aufgeräumt, die Häuser sind renoviert, eine Kapelle unterm Zwiebeldach strahlt. Hinterm Wald dann ein Alter im Unterhemd über der haarigen Brust, der im Trog den Melkeimer putzt. „Hallo, grüß Gott“, antwortet er. Sein „hallo“ hatte ich nicht erwartet.

Über einen halb zugewachsenen Feldweg, von Birken gesäumt, von rotem Laub aus dem Vorjahr bedeckt, geht es zur Fernverkehrsstraße zurück, ich quere nach einem Bus, der wohl aus dem Oberbayrischen herüberkommt. Der Lech ist nicht weit.

Von einem Weiler aus drei Häusern her verbellt mich ein Hund. Schon auf die Weite überschlägt sich seine Stimme, ohne dass er es wagen würde, einen Schritt näherzukommen. Die Ziegen auf der Weide lassen sich von dem Alarm anstecken, sie suchen Zuflucht auf ihrem Tränkewagen. Ich biege ab, an einem hübschen Hof vorüber, seine Rückseite aber ist eine Ruine. Die Tenne klafft weit auf, die Einfahrt ist zusammengebrochen, Gebälk herabgestürzt, nur noch die Hälfte steht, wie ein von Karies völlig zerfressenes Gebiss.

Hütte_Wald_Allgäu_Ostallgäu

Am Waldrand sitzt ein alter Landwirt, sein schwarzes Rad neben sich. Er sieht aus, als säße er zum Sinnieren auf dieser Bank, einem Rückzugsort also, an dem er über etwas nachdenken könne, was woanders keinen Raum findet. Hinter dem Wald färbt sich der Himmel dunkel.

Der Wind nimmt an Fahrt auf, als ich zwischen den Bäumen hervortrete, und ich weiß, gleich wird es so weit sein. In einer Kehre reißt es Staub vom Feldweg empor, ich stemme mich gegen den Wind. Hinter dem Hügel regnet es schon herab, dafür tauchen im Süden auf einmal die blassen Schemen von Bergen auf, die den ganzen Tag verborgen gewesen waren. Hundert Schritt vor dem Parkplatz klatscht der erste Tropfen auf meine Stirn. Das Wetter bricht los, als ich in das Auto steige, das ich – nach so vielen Jahren ohne PKW – vor ein paar Stunden erst angemeldet habe. Regen rauscht auf das Ostallgäu herab und ich starte den Motor.