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Mehr Licht

… und dann war es der lichteste Tag des Jahres, alles erstrahlte in unbegreiflicher Klarheit, schon morgens in der eiskalten Luft war das abzusehen, die Alpengipfel zeichneten sich scharf gegen den Himmel ab, und später alles voll des Lichts, als sei die Welt in Licht neugeboren an diesem Februartag, nachdem doch bereits der Januar den heimischen Photovoltaikanlagen Rekordwerte eingebracht hatte, Kilowattstunden wie ein Sommermonat, erzählte auf der Mittagsrunde ein väterlicher Kollege.

Selbst die Klammer des Kopfschmerzes, die so viele im Griff hatte an diesem strahlenden Tag – bald schon wieder Vollmond, haben wir etwa Föhn, ach den Nacken verlegen – lockerte sich. Da befreite aber auch das offene Gespräch, das An- und Aussprechen in dem kurzerhand vorgeschlagenen Termin, An- und Aussprechen ja sowieso immer empfehlenswert, nichts hilft uns weiter als Klarheit in der Kommunikation, klar wie dieser Tag.

Und das Licht ist selbst im Sinken der Sonne noch Fülle.

Socca

Abends backe ich Socca, eine Art Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl, angeregt von einem Rezept von Yotam Ottolenghi.  Das Kind in der Bauchtrage dreht seinen Kopf. Es will sehen, was ich da mache. Es beobachtet jeden Handgriff von mir. Da kommt ein Menschlein zur Welt und kann praktisch noch nichts, schläft den größten Teil des Tages, weil es noch so weltfern ist, ein Traumwesen beinahe. Und ein paar Monate später greift es nach der Tasse, die ich an den Mund führe, dreht sinnend die Hand unter dem Strahl des Wasserhahns, will im wortwörtlichen Sinne alles begreifen, und nun auch noch wissen, was ich da mache an der Küchenzeile: Zwiebeln schälen, Fenchel schneiden, Kapern mit einem kleinen Löffel aus dem Glas fischen, Eischnee schlagen und unter den Teig heben … Ich merke, wie ich zu erzählen angefangen habe, jedes Gemüse benenne, jede Zutat, jeden Handgriff erläutere.

Mir ist klar: Das Kind versteht kein Wort von dem, was ich sage. Und zugleich fühlt es sich vollkommen richtig und schön an.

Socca_Kichererbsenpfannkuchen_Ottolenghi_Frankreich

Socca

Ein Akt der Piraterie

Die begehrtesten Plätze sind die hinter dem Busfahrer, genauer die erste Reihe in Fahrtrichtung rechts vom Gang. Die Arme des Fahrgastes liegen auf der Trennwand zum Aufstieg, nichts verstellt das Gespräch mit dem Fahrer, der Blick senkt sich prüfend hinab auf Zusteigende. Wer den Bus besteigt, muss nicht nur an dem Fahrer vorbei, sondern auch Passagier Nummer 1 bestehen.

*

Der morgendliche Bus hinaus aus der Stadt ist fast leer. Ein hagerer, bedächtiger Mann lässt sich auf dem vordersten Platz rechts nieder. Seine mittellangen Haare stehen wild ab, die Wangen sind bartschattig, auf eine rustikale, nachlässige Art ist er gutaussehend. Eine Traurigkeit trägt der Bedächtige mit sich, zögernd eröffnet er das Gespräch mit der Busfahrerin, dann schüttet er ihr sein Herz aus. Seine Tochter hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden, er macht ihr Mut, sich durchzubeißen, und hat trotzdem Sorge, dass sie wieder einmal das Handtuch werfen würde, und nun macht die Busfahrerin ihm Mut.

An der nächsten Haltestelle steigt ein ganz anderer Typ ein, ein Lauter, hinkend, das Gesicht aufgedunsen. Offensichtlich irritiert es ihn, dass sein Stammplatz schon besetzt ist, also lässt er sich in der ersten Reihe links vom Gang nieder. Die Busfahrerin redet noch, der Bedächtige ist bereits auf dem Rückzug. Bei erster Gelegenheit wirft der Laute einen Satz ein. Es ist nicht gerade eine schlaue Bemerkung, die er macht, aber darum geht es nicht. Ihr einziger Zweck ist es, einen Wurfhaken auszuwerfen und das Gespräch zu entern. Der Laute schiebt seinem Satz eine hässliche Lache hinterher. Die Abwehr des Bedächtigen ist greifbar, er schweigt, lehnt sich zurück, die Busfahrerin gibt nur einen unbestimmten Kommentar von sich.

Der Laute, einmal das Ruder übernommen, muss rasch nachsetzen, um die Planken unter den Füßen nicht wieder zu verlieren. Er bringt irgendeine, letztlich beliebige Anekdote aus der Nachrichtenwelt des Vortages, wieder schließt er mit einer dreckigen Lache und lacht gleich noch einmal, völlig unpassend, weil konträr zum Inhalt seiner Worte. Aber er hat es geschafft, er steht nun auf dem Mitteldeck der Kommunikation.

Ein paar Minuten später ist das Trio beim Flüchtlingsthema angekommen. Die Busfahrerin und der Bedächtige äußern sich kritisch, doch menschlich nachvollziehbar, der Laute aber hetzt. Er beherrscht die Szene. Voller Selbstgefallen überbrückt er den Gang und rutscht auf den Sitz neben dem Bedächtigen. Blackbeard hat das Schiff endgültig gekapert, die Fahne der Freiheit ist eingeholt.

Hässlichkeit regiert.

Auftragsvergabe

Die Busfahrerin hält am Waldrand. Ein kantiger Kerl lässt von seiner Arbeit im Holz und tritt an die Tür, in den Linienbus.

„Ja grias di!“, begrüßt er die Busfahrerin, es folgt ein Servus an die Fahrgäste.

„So du mein Lieblingslandschaftsgärtner“, entgegnet die Fahrerin. „Wie geht‘s?“

„Sei froh, dass du kein Borkenkäfer bisch. Sonst müsste ich dich fällen.“

Gelächter, der Schlagabtausch geht ein paar Runden weiter, die Fahrgäste warten geduldig. Dann flicht die Busfahrerin wie nebenbei ein: „Die Platten wackeln. Mein Mann sagt, du müschtsch vorbeikommen.“

Damit ist alles geschwätzt. Der Kerle geht wieder ans Holz, der Bus rollt weiter übers Land, alle lächeln.