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Schakschuka, Freitagmorgen

Es sind ja geist-, jedenfalls aufs Entschiedendste schreibfeindliche Lebensumstände, in denen ich mich finde. Warum also nach monatelangem Schweigen diese flüchtigen Sätze notieren?

Zum Sonnenaufgang aufgestanden und gleich, sozusagen in Unterhose, in die Küche, weil ich etwas kochen wollte, aus Freude am Tun, nicht aus Notwendigkeit, und sonst kein Raum dafür wäre. Kaum hatte sich die Messerschneide auf die Zwiebel gesetzt, reichte mir meine Frau die Kleine. Es ist, dachte ich mir, gar nicht möglich, früh genug vor den Kindern aufzustehen.

Dann doch ein großer Spaß, zusammen zu kochen. Sie auf der Arbeitsplatte, dies und jenes ergreifend, dies und jenes kostend, dies und jenes mit einem Laut kommentierend, selbstverständlich auch alles irgendwann zu Boden werfend. Ich am Benennen, Schneiden, Rühren, Erklären.

Schakschuka war das eine, was ich machen wollte, weil ich am Vorabend aus dem Bioladen reduzierte, da dem drohenden Verfall schon gefährlich nahe Paprika erworben hatte. Ich entschied mich, das Gericht dieses Mal nicht intuitiv zu kochen, sondern nach einem Rezept von Ottolenghi. Das Ergebnis war, mit Safran und etwas Zucker, süßlich und sehr fein, ich möchte fast sagen: persisch. Ein Genuss auf jeden Fall, auch wenn mir eine, sagen wir Mal jemenitische Variante näher gelegen wäre: mit der Schärfe von Chili und Knoblauch und meinetwegen auch Bockshornkleesamen, den ich neben der indischen nur aus der Küche des so furchtbar geschundenen Jemens kenne.

Zweitens wollte ich, denn manchmal packt mich der Wahn oder eher die luftige Begeisterung, die die verehrte Graugans als Wesensart meines Sternzeichens benannt hatte, zweitens wollte ich also in einem Wettlauf gegen die Uhr ein weiteres Gericht von Ottolenghi ausprobieren, der mir in seiner sinnesfrohen, aromatischen Vielfalt vom Mittelmeer bis Ostasien Inspiration für ein ganzes Leben geben könnte.

Ich setze die Linsen auf, lege den grünen Spargel ins simmernde Wasser, werfe den rötlichen Asiasalat in den Mixer, gieße Olivenöl zu, lege Pecorino und Zitrone bereit.

Ein Genuss das Frühstück mit Einschränkungen, denn natürlich ist es wieder zu spät, es ist immer zu spät, egal wann und was ich frühstücke, aber immerhin mit der Großen am Tisch, die inzwischen auch wach geworden war.

Erstaunlich die so grundlegend unterschiedlichen Qualitäten der beiden Gerichte. Der Linsen-Spargel-Salat grün, kühl und ganz und gar vegetabil mit einem starken Element Wasser, obwohl ich den scharfen Asiasalat statt Brunnenkresse verwendet habe. Und ganz rot, warm, fast schon von animalischer Lebendigkeit die, vom Ei abgesehen, rein pflanzliche Schakschuka.

Kantinengesänge

Freitag, nach 13 Uhr. Die Kantine wirkt nahezu leer. Die Vollholzeinrichtung kommt so besonders gut zur Geltung. Und wie leise es ist. Da wird das schalldämpfende Holzmuster an der Decke zur reinen Optik.

Nur von der langen Tafel kommt Stimmengewirr. Auswärtiger Besuch, VertreterInnen eines Verbands, Entscheidunsträger des Unternehmens.

Der Nusszopf ist so leicht, dass ich mir ein zweites Stück geben lasse, obwohl keines den eigentlichen Bedürfnissen meines Körpers mehr entsprochen hätte. Ich schiebe den leeren Teller von mir.

„Cappuccino?“ Ein Löffel klirrt an der Suppenschale. Ratterndes Mahlwerk. „Schönes Wochenende!“ Das klirrende Stapeln von Gläsern in der Spülküche. Die Köche rufen sich etwas zu, Gemurmel aus dem Wintergarten hinter mir, ein Lachen, eine Stimme steigt auf „hätten wir, wären wir“, diskretes Scheppern von Tellern auf Zehenspitzen, Besteck rüttelt, klimpert, zittert, jede Menschenstimme erhält ihren eigenen Klang, dumpf, hart, sanft, lispelnd, rau, hell, vibrierend, ergreifend, fest …

Wie viel dann doch zu hören ist auch an einem solchen Tag, wird man erst ganz Ohr, der Körper schwer von Nuss und Hefeteig.

„15 Brezen bitte“

Eine meiner liebsten Tätigkeiten ist es, unter dem Tisch herumzukriechen und die Essensreste der Kinder aufzuwischen. Davon kann ich einfach nicht genug bekommen. Ganz besonders dann nicht, wenn das Licht schräg durchs Fenster fällt und gnadenlos all den Dreck bloßlegt, der auch durch dreimal tägliches Wischen nicht weggeht.

„Manchmal frage ich mich, ob wir uns eine Putzfrau leisten könnten“, seufze ich.

„Oder einen Putzmann“, ergänzt meine Tochter. Mit zwei Jahren und ein paar Monaten ist sie in manchen Dingen einfach schon weiter als ich.

Aber eigentlich will ich von Brezen schreiben. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich Laugenbrezen (Dinkelvollkorn) selbst gemacht. Sie sind kleiner geworden als erwartet und mit der Formgebung kann ich noch ein bisschen üben. Außerdem ist mir das zweite Blech misslungen, wenn ich auch immerhin begriffen habe, warum und den Fehler beim nächsten Mal vermeiden werde. Bäcker Moritz, der auf seinem Blog Backrezepte immer mit schönen Alltagsbeobachtungen garniert, hätte mir das gleich sagen können.

Erster Versuch: Dinkelvollkornbrezen, Verwandtschaft zu Besuch

Bangkok im Schnee

„Das fühlt sich an wie Bangkok“, sagt meine Frau, als ich ihr von dem gebratenen Reis schöpfe, den ich mir zum Frühstück gemacht habe. Ich blicke zum Fenster hinaus. Ein scharfer Wind treibt Schneeflocken heran. Ich höre durch die Scheiben hindurch das Rauschen der Bäume. Der Boden ist seit Tagen weiß.

„Es schmeckt auch wie Bangkok“, freut sich meine Frau.

Von Bangkok habe ich keine Ahnung, aber ich weiß, dass ein kräftig gewürzter, gebratener Reis genau das Richtige für mich zum Frühstück ist. Erst recht, wenn die Nacht wieder kinderintensiv war, meine Augenfalten sich tief wie Schluchten und mein Rücken fragmentiert anfühlen. Ein Katerfrühstück nach dem ganz normalen Leben.

Eigentlich könnte ich gebratenen Reis jeden Morgen essen. Gelegentlich im Wechsel mit einer scharfen Suppe. Brot und Croissant, Müsli und Porridge, was wollt ihr mir denn dagegen bieten? Ich sollte Chili und Ingwer züchten oder zumindest Zitronenbäume und nicht Kohl und Karotten aus dem Garten meiner Ahnen essen! So gesehen bin ich in der falschen Welt aufgewachsen, denke ich mir und beiße in ein Dinkelvollkornbrot mit Orangenmarmelade.

Köstlich.

Vielleicht sollte ich mir noch eine zweite Scheibe streichen.

Leipzig, abends

„Ich habe noch eine Fälschung bestellt“, sagte er, als wir die Holztreppe hinunterstiegen. „Einen impressionistischen Akt. Der feine Hals, den ich so reizvoll finde, ist aber nicht gut getroffen, das nimmt den ganzen Zauber.“ Fünf Stockwerke gehen wir über saubere, alte Holzstufen hinab, anschließend durch einen Park hindurch, den ein Industrieller für seine Tochter angelegt hatte. Was für eine Zeit, in der eine Privatperson so etwas tun konnte.

Wir suchen eine Gelegenheit zu essen. Bunte Lichter in Hahnenkörben versprechen die Leichtigkeit Balis; im thailändischen Tuk Tuk versinkt die Hoffnung auf Gewürze in goldenem Kitsch; das Beirut ein enger Raum mit Spielautomaten und verlockenden Tellern voller Vorspeisen; dann endlich finden wir Platz in einem japanischen Restaurant. Hier ist kein Raum für Spiel. Alles ist Ordnung, ist strenge Geometrie aus Schwarz und Rot.

Mi-fune, „Drei Schiffe“, bestellen wir und Gemüse-Gyoza, asiatische Maultaschen, der Agedashi ist fritierter Tofu in gebundener Algenbrühe, sämig und mit Sesamöl, ich löffel sie bis auf den Grund aus, die anderen mögen sie nicht, dafür ist die klare Suppe nicht meins. Sie ist fürchterlich klar. Lieber trinke ich ein Glas Wasser.

Dann ein Konzert in einer Kirche, Schallplatten, Wein, Lockung der Nacht.

Der Semmelkrieg

„Eine Butterbreze, bitte“, bestellte ich kürzlich. Aber was als solche ausgeschrieben war, beinhaltete genau das nicht. Da war keine Butter drauf. Sondern ein Butterersatz, irgendeine fade Margarine.

Bis dahin hatte ich Butterbrezen für das letzte Refugium gehalten, wo eine Bäckerei noch Butter aufs Gebäck streicht. Belegte Semmeln gibt‘s ja meist nur noch mit einer Fertigremoulade, und zwar nicht nur in sogenannten Backshops und anderen Abfüllstationen. Sondern auch in Cafés, die damit werben, dass sie ihr Brot und ihre Kuchen noch selber machen. Kommt also statt der Butter eine Remouladenpampe drauf, die ich mir nie im Leben kaufen würde. Und das auch – ein Blick durchs Fenster genügt – in einer Region mit Grünlandwirtschaft, sprich Milchkühen.

Der Grund für die Remoulade kann nur ein ökonomischer sein (lässt sich leichter streichen, wird nicht so schnell ranzig) und kein gesundheitlicher (da möchte ich bittesehr erst einmal die Zutatenliste der Remoulade sehen) und auch kein kulinarischer (nein, wirklich nicht). Übrigens, mit vegan hat es auch nichts zu tun. (Was war da nochmals alles in der Zutatenliste?) Liegt ja auch noch eine Scheibe Käse drauf, und der ist natürlich auch vorgeschnitten aus dem Plastik geholt und nicht vom Bergkäse einer regionalen Käserei gehobelt. Und der Weizen? Ein hochgezüchtetes Produkt, das viel abwirft, aber nach nichts mehr schmeckt.

Bitte, ich möchte einen Semmel, der auch ohne irgendetwas drauf gut und unverwechselbar schmeckt (ja, das gibt es – ich erinnere mich an eine kleine Stuttgarter Bio-Bäckerei, in der die rund zehn Sorten von Weckle alle ihren jeweils ganz eigenen, unvergleichlichen und guten Geschmack hatten) und an gscheiten Käs und drunter echte Butter von Hörnerkühen. Teuer? Nein: Teuer finde ich, für Nahrungsmittel zu bezahlen, die keinen Geschmack mehr haben.

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Über den Felsen gischtet das Wasser weiß auf. Unterhalb schimmert der Fluss in einem blassen Blaugrün, stromaufwärts aber in einem milchigen Grün, das an bestimmte Schieferarten erinnert. Im Schatten spannt sich noch Eis über die Pfützen, die Wange wärmt die Sonne schon. Am Wegesrand Standbilder von Johann Nepomuk, dem Schutzheiligen der Flößer. Die Suche nach Beistand war erklärlich: „ertrunken in den reißenden Wellen des Lechs“ war ein geläufiger Vermerk. Die letzten Flößer fuhren 1914, zwei Monate vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, den Fluss hinab, Holz nach Augsburg zu bringen, manchmal noch weiter: Regensburg, Wien, Budapest. Heute ist der Fluss gebändigt. Der Marsch auf dem Lechdamm macht wenig Freude.

Zumindest ein wenig wilder darf sein Zufluss am Fuß der Berge sein. Kommt man über den wundersam warm wirkenden Buchberg herab, durch den Weiler mit dem an diesem Tage so passenden Namen Ostern hindurch und dann in einem Bogen erst in den Wald und dann zum Fluss hinunter, dann könnte man dort vermuten, das Gewässer sei ungezähmt dem Gebirge entsprungen. Hand und Seele tauchen in die Klarheit des rauschenden Wassers. Und es hätte nicht viel gefehlt, und die Füße wären ihnen gefolgt an diesem 2. April.

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In Wirklichkeit geht es natürlich nicht um einen Krieg gegen die Brötchen. Sondern, viel umfassender, gegen unseren guten Geschmack.

Halblech_Fluss_Allgäu_Ostallgäu_Frühling