Archiv für den Monat Juni 2022

Das ist Leben

Als ich aussteige, weht mir ein Gluthauch um die bloßen Beine. Wind zeigt sich auf unserem Hügel als häufiger Gast, aber heiß ist er hier oben kaum je einmal. Vielleicht gibt es einen solchen in manchen Jahren gar nicht, zumindest vermisse ich ihn in meiner Erinnerung. Er weht immer woanders. Ich breite die Arme aus und begrüße die Glut.

Auf unserem Halbtagesausflug ins Außerfern heften wir uns an eine Kolonne von Mannschaftswägen der Polizei. Den ganzen Tag über brausen Transporter aus NRW und Hessen und sonst woher hinein in die Alpen, hinüber nach Österreich. Wahrscheinlich sind es Hunderte Fahrzeuge der bundesdeutschen Polizei, die da über die Grenze fahren und einen Halbkreis von 50 Kilometern durch Tirol ziehen, um ein bisschen Fahrtzeit zu sparen auf dem Weg zu Schloss Elms, der G7-Gipfel macht’s möglich. Es ist absurd.

Unser Ziel ist sehr viel greifbarer: ein mehr oder weniger versteckter Bergbach, wenn auch in Zeiten des Internets nicht wirklich ein Geheimtipp mehr, der nur über ein Betriebsgelände zu erreichen ist. Wir schreiten durch das klare Wasser, tragen die Kinder über ausgewaschene Felsen und durch sprudelnde Becken hindurch immer tiefer in die Schlucht hinein bis zum tosenden Wasserfall. Das Licht macht alles überdeutlich präsent: den Himmel, die wiegenden Bäume weit über uns, die steinernen Wände, jeden einzelnen Kiesel und verschmilzt schließlich mit der Reinheit des Bergwassers, glüht auf in der Gischt, versinkt als Smaragdgrün in der Tiefe. Ich lege mich hinein in diesen Rausch und spüre: Ich bin.

Nach der Begrüßung des Windes ist der Entschluss gefasst. Ich entkleide mich und gehe mit dem Kind hinüber in den Garten, aus dem wir ernten dürfen. Nackt bestaunen wir die Pflanzen, ziehen Pak Choi aus dem Hügelbeet, zupfen Blätter vom Salat. Später werden wir in der Küche den Tofu schneiden, Gewürze mörsern, den Duft des Reises schnuppern. Das ist Leben, denke ich mir.

Schakschuka, Freitagmorgen

Es sind ja geist-, jedenfalls aufs Entschiedendste schreibfeindliche Lebensumstände, in denen ich mich finde. Warum also nach monatelangem Schweigen diese flüchtigen Sätze notieren?

Zum Sonnenaufgang aufgestanden und gleich, sozusagen in Unterhose, in die Küche, weil ich etwas kochen wollte, aus Freude am Tun, nicht aus Notwendigkeit, und sonst kein Raum dafür wäre. Kaum hatte sich die Messerschneide auf die Zwiebel gesetzt, reichte mir meine Frau die Kleine. Es ist, dachte ich mir, gar nicht möglich, früh genug vor den Kindern aufzustehen.

Dann doch ein großer Spaß, zusammen zu kochen. Sie auf der Arbeitsplatte, dies und jenes ergreifend, dies und jenes kostend, dies und jenes mit einem Laut kommentierend, selbstverständlich auch alles irgendwann zu Boden werfend. Ich am Benennen, Schneiden, Rühren, Erklären.

Schakschuka war das eine, was ich machen wollte, weil ich am Vorabend aus dem Bioladen reduzierte, da dem drohenden Verfall schon gefährlich nahe Paprika erworben hatte. Ich entschied mich, das Gericht dieses Mal nicht intuitiv zu kochen, sondern nach einem Rezept von Ottolenghi. Das Ergebnis war, mit Safran und etwas Zucker, süßlich und sehr fein, ich möchte fast sagen: persisch. Ein Genuss auf jeden Fall, auch wenn mir eine, sagen wir Mal jemenitische Variante näher gelegen wäre: mit der Schärfe von Chili und Knoblauch und meinetwegen auch Bockshornkleesamen, den ich neben der indischen nur aus der Küche des so furchtbar geschundenen Jemens kenne.

Zweitens wollte ich, denn manchmal packt mich der Wahn oder eher die luftige Begeisterung, die die verehrte Graugans als Wesensart meines Sternzeichens benannt hatte, zweitens wollte ich also in einem Wettlauf gegen die Uhr ein weiteres Gericht von Ottolenghi ausprobieren, der mir in seiner sinnesfrohen, aromatischen Vielfalt vom Mittelmeer bis Ostasien Inspiration für ein ganzes Leben geben könnte.

Ich setze die Linsen auf, lege den grünen Spargel ins simmernde Wasser, werfe den rötlichen Asiasalat in den Mixer, gieße Olivenöl zu, lege Pecorino und Zitrone bereit.

Ein Genuss das Frühstück mit Einschränkungen, denn natürlich ist es wieder zu spät, es ist immer zu spät, egal wann und was ich frühstücke, aber immerhin mit der Großen am Tisch, die inzwischen auch wach geworden war.

Erstaunlich die so grundlegend unterschiedlichen Qualitäten der beiden Gerichte. Der Linsen-Spargel-Salat grün, kühl und ganz und gar vegetabil mit einem starken Element Wasser, obwohl ich den scharfen Asiasalat statt Brunnenkresse verwendet habe. Und ganz rot, warm, fast schon von animalischer Lebendigkeit die, vom Ei abgesehen, rein pflanzliche Schakschuka.