Archiv für den Monat August 2022

Bis das Licht erlischt

Ich sitze in der Unterhose auf dem Gullydeckel und tippe.

Der Sommer war schön, früher hätte ich gesagt, er war herrlich. 

Es ist schon richtig: Freiheiten hatte er weniger gebracht, als ich mir gewünscht hätte, ich habe ihn oft eher mittelbar genossen – lebensphasenbedingt –, er war trotzdem schön. Heute, am letzten heißen Tag des Jahres, verlasse ich nach einer weiteren intensiven Arbeitszeit das Büro und biege auf dem Heimweg ab zum Fluss. Ich lasse das Autofenster herunter, begrüße den warmen Wind. Led Zeppelin begleitet den Weg über das Sträßchen hinab. Alles jubelt in mir. Es ist Sommer und ich will ihn feiern, ein paar Minuten lang.

Ich wollte nackt ins Wasser, aber auf der Kiesbank sind ein paar Kinder, also lasse ich die Unterhose an. Ich trete ein in das Grün des Flusses. Er ist nicht tief dieses Jahr, doch es reicht zum Schwimmen. Sofort treibt mich die Strömung ab.

Dann stehe ich da. Die Beine umflossen von Wasser, der Oberkörper umflossen von Licht, steigt Kühle auf, senkt sich Hitze herab. Ich schaue. Lausche. Rieche, fühle. Wellen brechen an Steinen. Die Bäume am Ufer so stumm, wie sie es im August immer sind, als würde die Welt ganz leise. Ein Hauch von Braun im Licht. Meine Körpermitte ein Amalgam der Elemente, schließlich ein Kreuzpunkt des Lebens. Ich spüre mit jeder Faser: Ja, ich bin Teil dieser Welt. Es ist ein gutes Gefühl. Nein, diese Welt ist nicht gut (sie ist ambivalent), aber es ist gut zu spüren, Teil von ihr zu sein.

Ich schließe die Augen und atme den Sommer ein. In jeder Zelle meines Körpers will ich ihn speichern. Will, dass er weiter brennt in mir, durch den nächsten Winter hindurch und immer weiter, bis mein Licht erlischt.

Medialer Overkill

Ich plane einen Kinobesuch, schaue mir ein paar Trailer an und fühle mich danach sehr verspult. Reizbar, verwirrt, unzufrieden und ganz und gar nicht in meinem Körper. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes außer mir. Ein paar buddhistische Achtsamkeitsübungen helfen mir, wieder zu mir zu kommen.

Es ist ein altes Werturteil meinerseits gegenüber Bewegtbildern, sie, zumindest im Rahmen ihrer üblichen Konsummuster, als eine Art Hypnosemasch(in)e zu betrachten. Daher mein bereitwilliger Verzicht auf ‚Fernsehen‘, auch nichtlineares, auch als Häppchen auf den Sozialen Medien, und meine Feier des Kinos als einen magischen Ort – den Tempel eines geheiligten Rituals, das ich bewusst und liebevoll ausführe. Dass mich nun schon ein paar Trailer im Netz reizüberfluten, beunruhigt mich. Ich weiß nur noch nicht, in welche Richtung hin.

Heute waren die Kinder zum ersten Mal in einer Bücherei. Einer Dorfbücherei aus dem letzten Jahrhundert: Frau H. führt freundlich Hoheit, ein Kundenkonto ist durch bloße Nennung der eigenen Adresse erstellt, jedes ausgeliehene Buch – vier Wochen Ausleihe, keinerlei Kosten – erhält einen Stempel. Analog auf einen Papierstreifen.

Für die Kinder war es neu genug. Sie waren kaum mehr aus der Bücherei herauszubekommen, abends stritten sie darum, wer von beiden welches Buch vorgelesen bekam, links und rechts bedrängten sie mich und als wir die Bücher zuklappten, gab’s Zeter und Mordio. Dann regierte nur noch eine urtümliche Schicht ganz hinten im Gehirn. Die kleinste Frustration: Kreischen und Werfen – Dinge durch den Raum, sich selbst auf den Boden. Wie eine veraltete, fast dem Dornröschenschlaf anheimgefallene Dorfbibliothek mit ein paar Kinderbüchern medialen Overkill auslösen kann …

Sie werden das Medium Kinderbuch bald gemeistert haben, ohne irgendwelche Achtsamkeitsübungen zu brauchen. Ich ahne, ich werde sie für meinen Fall immer mehr benötigen.

Birkenklang

Was ist der Gesang der Birken?

Kein Rascheln wie der Laut anderer Belaubter im Wind. Kein Rauschen und kein Raunen. Nicht Flüstern noch Säuseln. Gewiss nicht Schleifen, Scharren, Knarzen, Kratzen.

Vielleicht ein Wispern, hell und dafür, dass es ganz und gar organisch, atmend, aderndurchzogen ist, beinahe kristallen.

Ich hätte gerne einmal eine Birkenfrau getroffen, mehr als jede andere einem Baum Entsprungene.

Eine Birkenfrau also an einem heißen Tag des schon reifen Sommers, am Ufer eines Sees vielleicht.