Medialer Overkill

Ich plane einen Kinobesuch, schaue mir ein paar Trailer an und fühle mich danach sehr verspult. Reizbar, verwirrt, unzufrieden und ganz und gar nicht in meinem Körper. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes außer mir. Ein paar buddhistische Achtsamkeitsübungen helfen mir, wieder zu mir zu kommen.

Es ist ein altes Werturteil meinerseits gegenüber Bewegtbildern, sie, zumindest im Rahmen ihrer üblichen Konsummuster, als eine Art Hypnosemasch(in)e zu betrachten. Daher mein bereitwilliger Verzicht auf ‚Fernsehen‘, auch nichtlineares, auch als Häppchen auf den Sozialen Medien, und meine Feier des Kinos als einen magischen Ort – den Tempel eines geheiligten Rituals, das ich bewusst und liebevoll ausführe. Dass mich nun schon ein paar Trailer im Netz reizüberfluten, beunruhigt mich. Ich weiß nur noch nicht, in welche Richtung hin.

Heute waren die Kinder zum ersten Mal in einer Bücherei. Einer Dorfbücherei aus dem letzten Jahrhundert: Frau H. führt freundlich Hoheit, ein Kundenkonto ist durch bloße Nennung der eigenen Adresse erstellt, jedes ausgeliehene Buch – vier Wochen Ausleihe, keinerlei Kosten – erhält einen Stempel. Analog auf einen Papierstreifen.

Für die Kinder war es neu genug. Sie waren kaum mehr aus der Bücherei herauszubekommen, abends stritten sie darum, wer von beiden welches Buch vorgelesen bekam, links und rechts bedrängten sie mich und als wir die Bücher zuklappten, gab’s Zeter und Mordio. Dann regierte nur noch eine urtümliche Schicht ganz hinten im Gehirn. Die kleinste Frustration: Kreischen und Werfen – Dinge durch den Raum, sich selbst auf den Boden. Wie eine veraltete, fast dem Dornröschenschlaf anheimgefallene Dorfbibliothek mit ein paar Kinderbüchern medialen Overkill auslösen kann …

Sie werden das Medium Kinderbuch bald gemeistert haben, ohne irgendwelche Achtsamkeitsübungen zu brauchen. Ich ahne, ich werde sie für meinen Fall immer mehr benötigen.

3 Gedanken zu „Medialer Overkill

  1. autopict

    Auf alle Fälle toll geschrieben. Ich frage mich schon länger, welches könnte meine ‚Etappe‘ gewesen sein? Die 60er? Das letzte Jahrhundert oder erst das nächste Jahrtausend? Wo und wann und mit wem würde mein Leben am besten klarkommen?
    Es gilt, den Strukturen zu entrinnen, die mich alles entsprechend dem Fortschritt machen lassen, nur zeitlich versetzt, denn das ist keine Lösung. Sich aber komplett herauszunehmen, ist das überhaupt möglich? Meine Kinder sind älter als deine, sie schwimmen mit dem Strom, wie ich vor 30 Jahren. Meine Eltern lehnten dies ab, und welcher ist nun mein Weg? Die Antwort steht in der Frage: es muss mein Weg werden.

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  2. karu02

    Welche wunderbaren Abenteuer warten auf Deine Kinder in den Büchern! Ich suche meine Abenteuer immer noch zwischen gedruckten Seiten. Das ist auch das einzige, was ich an diesem Sommer gerne mag, die warmen Abende auf der Terrasse mit meinen Büchern, nur abgelenkt durch die Fledermäuse, den Igel oder die Schleuereule. Ich bin, wie ich Deinem Bericht entnehme, nicht der einzige Mensch, der der Reizüberflutung zu entgehen versucht.

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  3. wolkenbeobachterin

    dich rauszunehmen aus der reizüberflutung ist eine gute idee.

    tatsächlich hat sich viel in der „bilder-landschaft“, anders gesagt, in der fernseh-und kinolandschaft viel geändert. bilder werden anders geschnitten, inhalte anders transportiert, geschichten anders erzählt. schnell, effektiv und oft mit viel bumm bumm.
    und ich denke, dass genau die reizüberflutung dazu geführt hat, dass eine gewisse „trägheit“ bei manchen entstanden ist dadurch (oder auch erschöpfung), dass es „mehr “ braucht, um dieselbe aufmerksamkeit wieder zu bekommen. vor allen dingen auch in diesem meer an angeboten und filmemachern und programmen etcpp.

    ich war kürzlich auch im kino und keine der vorschauen interessierte mich. das war und ist für mich auch neu, da dort „normalerweise“ immer filme gezeigt werden, die mich interessieren und ansprechen. nun ist dem nicht so. das hat mich auch irritiert, ist aber vielleicht nur ein vorübergehender zustand und umstand. time will tell.

    was du tun kannst, neben deinen achtsamkeitsübungen, ist, was du vermutlich schon machst, dosiertes schauen. hinspüren: ab wann wird es zu viel? und dann stoppen.

    du hast sicher gefallen gefunden an der arbeit bestimmter autoren oder filmemacher. orientiere dich doch danach. und schau, wie gesagt, dosiert, was es ansonsten noch gibt.

    büchereien finde ich auch toll. auch heute noch. da kann man sich die reizüberflutung selbst gestalten, sofern man denn möchte. und ansonsten abschalten. im doppelten sinne.

    lg aus berlin,
    m.

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