Abends backe ich Socca, eine Art Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl, angeregt von einem Rezept von Yotam Ottolenghi. Das Kind in der Bauchtrage dreht seinen Kopf. Es will sehen, was ich da mache. Es beobachtet jeden Handgriff von mir. Da kommt ein Menschlein zur Welt und kann praktisch noch nichts, schläft den größten Teil des Tages, weil es noch so weltfern ist, ein Traumwesen beinahe. Und ein paar Monate später greift es nach der Tasse, die ich an den Mund führe, dreht sinnend die Hand unter dem Strahl des Wasserhahns, will im wortwörtlichen Sinne alles begreifen, und nun auch noch wissen, was ich da mache an der Küchenzeile: Zwiebeln schälen, Fenchel schneiden, Kapern mit einem kleinen Löffel aus dem Glas fischen, Eischnee schlagen und unter den Teig heben … Ich merke, wie ich zu erzählen angefangen habe, jedes Gemüse benenne, jede Zutat, jeden Handgriff erläutere.
Mir ist klar: Das Kind versteht kein Wort von dem, was ich sage. Und zugleich fühlt es sich vollkommen richtig und schön an.

Socca
Doch, die verstehen alles. Die Worte und alles andere.
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Bei den Worten möchte ich doch zweifeln, aber ja: alles andere. Danke für die Ermutigung.
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Das Kind versteht so viel mehr als Worte … Liebe Grüße!
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Es versteht die Worte nicht, aber es kann sie deuten, vermutlich besser als wir. Eine vertraute Stimme mit kleinsten Variationen und irgendwann lösen sich Fragmente heraus, bilden neuen Sinn, dann kommt das Nachsprechen aber das Deuten aus Tempo, Lautstärke, Modulation (wenn man das so nennen kann) und weiteren Stimmeigenschaften wird in den Hintergrund gedrängt. Eine großartige Erfahrung, vermute ich. Also immerzu sprechen, vorlesen, sich unterhalten. Den Blick nach vorn. Guten Appetit!
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Danke, das ist sehr schön beschrieben!
Übrigens habe ich, lieber autopict, gestern an dich gedacht. In einem ziemlich kuriosen Zusammenhang. Eine gewisse Stadt in Baden-Württemberg ist ja gerade wegen einer schlimmen Sache in den Medien. Von ihrer Existenz habe ich das erste Mal aus einem Kommentar von dir noch damals auf „Zeilentiger liest Kesselleben“ erfahren … Daran erinnerte ich mich gestern wieder.
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Ja, ich erinnere mich dunkel, und habe dann mal nachgeschaut… Rot am See, die Ecke hatte trotz aller Idylle schon mal seine Unschuld verloren und jetzt wieder. Wenn man die Städte und Gemeinden kennt, wirkt das alles nochmals anders. Wie auch Winnenden, das hat eine andere Tiefe als USA oder aus meiner Sicht Erfurt.
Grüße!
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Ja, es gibt so Orte, die auf immer mit Ereignissen verbunden sind. Die man gar nicht selbst erlebt haben muss. Merkwürdig war es, als ich in Winnenden zum ersten Mal aus der S-Bahn gestiegen bin (das war nach dem Amoklauf) und erst einmal spüren musste: Winnenden, das ist nicht (nur) eine Chiffre, das ist auch einfach nur ein Ort.
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Menschliche kleine Wunder bekommen mehr mit als mann denkt *lächel*
Herzlich Lu
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So schön, dein Vatersein zu lesen. Bewahr dir alle Gedanken, Gefühle, Texte und vor allem: die Vertrautheit.
Das Leben ist ein Genuss.
Herzlichst
Stephan
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Erstkommentar! Danke dafür. Sehr sogar.
Apropos „Das Leben ist ein Genuss“. Diese Woche habe ich zufällig eine Audiodatei wiedergefunden, aus dem Café eines Römermuseums in N., wo wir uns wie verabredet getroffen hatten als Startpunkt … Ich freue mich auf weitere Begegnungen!
Herzliche Grüße
Holger
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schön von eurem miteinander zu lesen, der vertrautheit, der innigkeit. ❤
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Herzlichen Dank für deinen schönen Kommentar! Ich hoffe, dir geht es gut! Steht die Buchhandlung noch mit den verlockenden Schaufenstern, in der wir uns einmal beinahe über den Weg gelaufen wären?
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Ich habe mich immer mal wieder gefragt, wie es sein kann, dass Kinder mit z.B. 5Jahren einwandfrei und grammatikalisch richtig sprechen können, noch vor der Schule. Nach Deinem liebevollen Text heute weiß ich es. Danke.
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Deine Worte haben mich sehr berührt. Um nicht zu sagen gerührt. Lieben Dank dir!
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Ich lese gerne, was Sie als Vater erleben, wie Sie Ihrem geliebten Kind nachspüren. Und Fragen stellen können. Und in mir ruft es die Erinnerung herauf. Zweimal durfte ich Kinder begleiten. Das ist so lange her, dass ich darauf warte, noch mehr von Ihren Erlebnissen und Empfindungen mit Ihrem Kind zu lesen.
Herzliche Grüsse,
Herr Ärmel
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Das ist sehr liebenswürdig, lieber Herr Ärmel.
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