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Ein Akt der Piraterie

Die begehrtesten Plätze sind die hinter dem Busfahrer, genauer die erste Reihe in Fahrtrichtung rechts vom Gang. Die Arme des Fahrgastes liegen auf der Trennwand zum Aufstieg, nichts verstellt das Gespräch mit dem Fahrer, der Blick senkt sich prüfend hinab auf Zusteigende. Wer den Bus besteigt, muss nicht nur an dem Fahrer vorbei, sondern auch Passagier Nummer 1 bestehen.

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Der morgendliche Bus hinaus aus der Stadt ist fast leer. Ein hagerer, bedächtiger Mann lässt sich auf dem vordersten Platz rechts nieder. Seine mittellangen Haare stehen wild ab, die Wangen sind bartschattig, auf eine rustikale, nachlässige Art ist er gutaussehend. Eine Traurigkeit trägt der Bedächtige mit sich, zögernd eröffnet er das Gespräch mit der Busfahrerin, dann schüttet er ihr sein Herz aus. Seine Tochter hat Schwierigkeiten, einen Job zu finden, er macht ihr Mut, sich durchzubeißen, und hat trotzdem Sorge, dass sie wieder einmal das Handtuch werfen würde, und nun macht die Busfahrerin ihm Mut.

An der nächsten Haltestelle steigt ein ganz anderer Typ ein, ein Lauter, hinkend, das Gesicht aufgedunsen. Offensichtlich irritiert es ihn, dass sein Stammplatz schon besetzt ist, also lässt er sich in der ersten Reihe links vom Gang nieder. Die Busfahrerin redet noch, der Bedächtige ist bereits auf dem Rückzug. Bei erster Gelegenheit wirft der Laute einen Satz ein. Es ist nicht gerade eine schlaue Bemerkung, die er macht, aber darum geht es nicht. Ihr einziger Zweck ist es, einen Wurfhaken auszuwerfen und das Gespräch zu entern. Der Laute schiebt seinem Satz eine hässliche Lache hinterher. Die Abwehr des Bedächtigen ist greifbar, er schweigt, lehnt sich zurück, die Busfahrerin gibt nur einen unbestimmten Kommentar von sich.

Der Laute, einmal das Ruder übernommen, muss rasch nachsetzen, um die Planken unter den Füßen nicht wieder zu verlieren. Er bringt irgendeine, letztlich beliebige Anekdote aus der Nachrichtenwelt des Vortages, wieder schließt er mit einer dreckigen Lache und lacht gleich noch einmal, völlig unpassend, weil konträr zum Inhalt seiner Worte. Aber er hat es geschafft, er steht nun auf dem Mitteldeck der Kommunikation.

Ein paar Minuten später ist das Trio beim Flüchtlingsthema angekommen. Die Busfahrerin und der Bedächtige äußern sich kritisch, doch menschlich nachvollziehbar, der Laute aber hetzt. Er beherrscht die Szene. Voller Selbstgefallen überbrückt er den Gang und rutscht auf den Sitz neben dem Bedächtigen. Blackbeard hat das Schiff endgültig gekapert, die Fahne der Freiheit ist eingeholt.

Hässlichkeit regiert.