Ein stakender Reiher erhebt sich, erst am anderen Ende des Sees wagt er einen entrüsteten Ruf und quert dort mehrmals über dem Wasser. Ein Sirren in den Schwarzerlen löst die Stille des Fichtenholzes ab. Es frischt auf. Lange bleibe ich an der kalten Asche eines Lagerfeuers nicht sitzen.
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Weit in den Osten des Landkreises bin ich gefahren, um meinen Pflichten nachzukommen. Die junge Frau im Landratsamt widerlegt mit ihrem Lächeln alle vermeintlichen Fährnisse von Amtsbesuchen, wie ich ja überhaupt seit Jahren auf Ämtern fast nur freundlichen Mitarbeitern begegnet bin. Die Schulungen scheinen Früchte zu tragen, das Wort Bürgerservice Inhalt zu gewinnen – zumindest solange man die Grenzen einer bürgerlichen Rolle nicht austesten muss oder will. Die junge Frau also lächelt und der Klang ihres Dialektes entzückt mich. Plötzlich erscheint sie mir schön.
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Ein Bauer sägt im Holz, ein anderer zieht einen Entwässerungsgraben ins Feld. An der Fassade eines Einsiedelhofes laufen grüne Streifen herab, als hätten die Fensterläden geweint. Der Hof sieht unbewohnt aus, aber das muss nicht unbedingt so sein. Manchmal gibt es sie ja immer noch, diese heruntergekommenen Gehöfte unter der Hand eines heruntergekommenen Eigenbrötlers, bis die Behörden kommen, weil der Bauer das Vieh schindet.
Der nächste Weiler hingegen zeigt sich ganz schmuck und aufgeräumt, die Häuser sind renoviert, eine Kapelle unterm Zwiebeldach strahlt. Hinterm Wald dann ein Alter im Unterhemd über der haarigen Brust, der im Trog den Melkeimer putzt. „Hallo, grüß Gott“, antwortet er. Sein „hallo“ hatte ich nicht erwartet.
Über einen halb zugewachsenen Feldweg, von Birken gesäumt, von rotem Laub aus dem Vorjahr bedeckt, geht es zur Fernverkehrsstraße zurück, ich quere nach einem Bus, der wohl aus dem Oberbayrischen herüberkommt. Der Lech ist nicht weit.
Von einem Weiler aus drei Häusern her verbellt mich ein Hund. Schon auf die Weite überschlägt sich seine Stimme, ohne dass er es wagen würde, einen Schritt näherzukommen. Die Ziegen auf der Weide lassen sich von dem Alarm anstecken, sie suchen Zuflucht auf ihrem Tränkewagen. Ich biege ab, an einem hübschen Hof vorüber, seine Rückseite aber ist eine Ruine. Die Tenne klafft weit auf, die Einfahrt ist zusammengebrochen, Gebälk herabgestürzt, nur noch die Hälfte steht, wie ein von Karies völlig zerfressenes Gebiss.
Am Waldrand sitzt ein alter Landwirt, sein schwarzes Rad neben sich. Er sieht aus, als säße er zum Sinnieren auf dieser Bank, einem Rückzugsort also, an dem er über etwas nachdenken könne, was woanders keinen Raum findet. Hinter dem Wald färbt sich der Himmel dunkel.
Der Wind nimmt an Fahrt auf, als ich zwischen den Bäumen hervortrete, und ich weiß, gleich wird es so weit sein. In einer Kehre reißt es Staub vom Feldweg empor, ich stemme mich gegen den Wind. Hinter dem Hügel regnet es schon herab, dafür tauchen im Süden auf einmal die blassen Schemen von Bergen auf, die den ganzen Tag verborgen gewesen waren. Hundert Schritt vor dem Parkplatz klatscht der erste Tropfen auf meine Stirn. Das Wetter bricht los, als ich in das Auto steige, das ich – nach so vielen Jahren ohne PKW – vor ein paar Stunden erst angemeldet habe. Regen rauscht auf das Ostallgäu herab und ich starte den Motor.
Zu dem Titel deines verbalen Stimmungsbildes passend:
https://finbarsgift.wordpress.com/2013/04/24/reiher-hebt-ab/
Liebe Morgengrüße vom Lu
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Lieber Lu, mir ist der Zugang verwehrt. Ich darf einen solchen beantragen?
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Das würde mich seeeehr freuen 🙂
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Ich habe dich freigeschaltet 🙂
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Danke dir!
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„Manchmal gibt es sie ja immer noch, diese heruntergekommenen Gehöfte unter der Hand eines heruntergekommenen Eigenbrötlers, bis die Behörden kommen, weil der Bauer das Vieh schindet.“ Da habe ich direkt ein Gehöft, nicht weit von hier, vor Augen, aber der hat kein Vieh und das ist wohl gut so?!
Deine Zeilen sind herrlich lebendig, da konnte ich grad mit dir laufen und schauen …
herzlichst
Ulli
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Da bin ich froh, dass der kein Vieh hat … – Herzlichen Dank für die Wegbegleitung, liebe Ulli!
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Das klingt alles so stimmig, dass ich meinen möchte, so sei die wirkliche Welt. In Ordnung halt oder einfach nur normal.
Vielen Dank für die Eindrücke.
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Vielen Dank, Herr Ärmel, fürs Lesen und Wägen. Ein bisschen Ordnung und normal ist ganz brauchbar, wenn seit Wochen und bald Monaten der Alltag aus einer Tasche bestritten wird.
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Herrje; da wünsch ich Glück. Als Autobesitzer werden Sie’s brauchen können.
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Ja, eine neue Art von Glück. Danke für Ihre guten Wünsche.
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So gern les ich Beschreibungen von Unterwegsleuten! Gute – wie hier!
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Danke – gleich zweifach, denn solche etwas längeren Blogtexte sind doch schon nahe an einer Zumutung. (Ich ertappe mich jedenfalls selbst bei Ungeduld.)
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Sehr stimmungsvoll!
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Das freut mich, danke sehr.
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