Mittags treiben Möwen auf dem schwellenden Fluss, fern jeder See. Der Regen formt Teiche auf der Oberfläche des Wassers.
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„Ich drehe einfach die Zahlen meines Alters um und frage euch: Was habt ihr alle gemacht, als ihr so alt wart?“, gibt der Gastgeber vor. Irgendwann ist das Thema bei zwei Sünden der Landbevölkerung: Alkohol und Raserei. „Früher war der Ort hier berüchtigt – ein richtiges Niemandsland zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Wenn du bei einer Verkehrskontrolle hier nur ein Fahrzeug angehalten hast, hattest du schon gleich den Ersten mit Alkohol am Steuer“, erzählt einer. Dann werden Unfälle aufgezählt, Verkehrstote, Schicksale. Es klingt wie Geschichten aus dem Krieg: auf jedem Hof ein Toter. „Und das Ostallgäu hatte damals auch einen ganz schlechten Ruf“, ergänzt der Polizist. „Weites Land, wenig Polizei. Da sind die schlimmsten Unfälle passiert.“
Später dann ein Spiel: schnelle Wahrnehmung, blitzartige Fokusveränderungen. Nach der Viertelstunde sind alle aufgedreht: Adrenalin in den Adern, Heiterkeit in den Stimmen. „Das Spiel wirkt wie ein Kaffee.“
Schließlich hinaus in die Nacht. Windböen, peitschender Regen. Schwarze Flächen und blendendes Licht und dann, plötzlich, ein Fell greifbar nahe am Straßenrand. Ich bin bereits vorbeigerauscht, als mein Gehirn erst verarbeitet, was es da gesehen haben muss: Ein Reh am Seitenstreifen, in Armreichweite des Fahrzeugs und leicht abgewandt, dabei völlig reglos. Zum Glück reglos: Nur ein Schritt nach links und es hätte ein Massaker gegeben. Und dann denke ich mir, hätte ich seine Augen gesehen vor einem Aufprall, wäre ich diesen Blick nicht mehr losgeworden.
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Das weite Land im Osten ist abgesoffen. Da braucht es nur mal eine Nacht und einen Tag zu regnen, und schon zeigt sich entlang der Bahngleise anstelle von Wiesen eine Seenlandschaft. Den Kröten in der folgenden Nacht auszuweichen habe ich nicht mehr geschafft.