Das also ist Scharlachrot, denke ich mir …

Das sechste Kapitel, denke ich mir, das sechste Kapitel sollte ich doch einmal vorlesen.

Peter Kurzeck, „Übers Eis“, wie er, in sein Manuskript vertieft, das Dezemberwetter ganz dunkel draußen und eigentlich immer dunkler werdend mit dem Fortschreiten des Morgens, seine Trennung im Nacken, das Bewerbungsgespräch im Theater vor sich am späten Vormittag, einen Espresso machen will und alles schief geht, immer und immer wieder schief geht. Und schon ein Kapitel fertig. Das ist es ja gerade, die Kunst, die kleinen Dinge zu beschreiben. Aber merkwürdig, denke ich mir, da findest du lange Zeit kein Buch, das du lesen magst, und dann kannst du dich gar nicht retten vor Bücher, die du am liebsten alle gleichzeitig lesen wolltest. Und noch merkwürdiger natürlich, dass alle diese Bücher schon im Regal standen, als ich nichts gefunden hatte, nichts lesen konnte, offenbar gar nichts lesen wollte, das muss ich doch daraus schließen, denke ich mir.

Der Neffe, den ich von dem Sturz noch gezeichnet vorzufinden glaubte, schon wieder ganz munter, ich hätte nichts gemerkt, hätte ich es nicht gewusst. Zu spät gekommen, der Besuch natürlich trotzdem erwünscht, und er lebendiger als sonst, und berichtet von seiner Entdeckung, dass er Bilder gefunden habe, die er in jüngerem Alter gemalt habe, und dann zieht er die Blätter hervor, zuerst allesamt umgedreht, dann sie umdrehend und baut aus bemalten Seiten, die mir zuerst zusammenhangslos erscheinen, ein gewaltiges Schiff voller Wunder zusammen. Fast wünsche ich mir selbst dieses kindliche Vermögen zurück, ganz ohne Ziel und Zweck schöpferisch sich zu erfüllen.

Und dann, ganz schnell, schon wieder ein Tag vorüber, den ich gelebt oder auch nicht, das weiß ich selbst nicht genau, denke ich mir und blicke aus dem Fenster. Das also ist Scharlachrot, denke ich mir, als ich zu den letzten farbigen Wolken hinübersehe.

12 Gedanken zu „Das also ist Scharlachrot, denke ich mir …

    1. zeilentiger Autor

      Lieber Eberhard, das ist eine Rückmeldung, bei der ich fast rote Wangen bekomme. Danke dir – dafür und auch für die Buchempfehlungen!

      Grüße in die Kesselstadt
      Holger

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    1. zeilentiger Autor

      Eine ganz spezielle Sprache, nicht? Ich könnte mir vorstellen, dass sie manchen gar nicht gefällt, aber ich finde sie auch sehr faszinierend. Hast du noch mehr von Kurzeck gelesen? (Für mich ist es sein erstes Buch.)

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      1. wolkenbeobachterin

        Ja, die Sprache ist ganz außergewöhnlich und schön genutzt und eingesetzt. Ganz anders als bei z.B. Arno Schmidt, der ja auch mit Sprache gespielt hat. 🙂 Bislang habe ich nur dieses eine von Peter Kurzeck gelesen. Liebe Grüße!

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    1. zeilentiger Autor

      Liebe Silke, herzlichen Dank für deine Worte. Darüber freue ich mich sehr! (Jetzt nur noch die Muße, um aus der Kunst, die kleinen Dinge zu beschreiben, einmal etwas Größeres zu machen …)
      Herzliche Grüße aus dem Regen
      Holger

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