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Am Feuer

Zur Hochzeit eine Feuerschale geschenkt bekommen. So in etwa könnte ich diese Zeilen einleiten, auch wenn der Satz nicht in jeder Hinsicht wahr ist. Er ist doch wahr genug.

Ich entzünde die Schale, nun allein, auf der Wiese, auf der wir gefeiert haben. Es ist ein friedlicher Ort, von vier Seiten von Bäumen umgeben, die der Großvater und dann meine Mutter gepflanzt haben. Nach Süden hin, jenseits des Gartens, den meine Großmutter immer noch eigenhändig pflegt und hegt, stehen die Bäume niedriger und lassen einen Blick auf die Alpen zu. Heute sind die Berge verdeckt, von Wolken, wie sie auch hier den ganzen Tag über uns hinweg gezogen waren. Ein denkwürdiges Wetter, der April von einst im sommerlichen Gewand: Wolkenbänke und Sonnenschein, Düsternis, Nieselregen und wieder schwüle Hitze, Gleißen und Donnergrollen, Gewitterwind, nochmals Licht, welches das Blau der Libellen funkeln lässt, dann erst der erwartete Schauer und so weiter.

Das Feuer lodert, Falken stoßen droben ihre Schreie aus, Bienen summen in der hohen Linde hinter mir, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu nutzen. Ich stutze und drehe den Kopf. Die Linde hat doch schon ausgeblüht. Summt es im Ahorn daneben? Aber auch er blüht nicht …

Im sinkenden Licht ziehe ich mir etwas Langärmeliges über. T-Shirt-warme Abende gibt es hier auf dem grünen Hügel nicht. Sie sind seufzende Erinnerung an meine Zwischenjahre in der Stadt. Dann lehne ich mich zurück.

Der Platz allein vor dem Feuer ist eine Auszeit, so wie die Stunden am Klavier die letzten Tage eine Auszeit waren, eine Auszeit anderer Art. Jene verlangen ein Tun, dafür ist ihr Geschenk, mich schwingen zu lassen auf einer Seinsebene, die nicht mehr verlangt vom Leben. „Musizieren wirkt wie meditieren“, ist ein Onkel überzeugt. Etwas verändert sich im Gehirn, im Herzen, im Weltbezug.

Vor dem Feuer hingegen lasse ich. Es öffnet sich ein Raum, der meine Finger nach dem Notnotizbuch, wie Frau Wildgans es formuliert, greifen lässt. Papier raschelt, ein Stift fährt über das Blatt, Schrift in der Dämmerung. Das war lange nicht.

Rauch

Über dem Parkplatz am äußersten Rand der Stadt der Geruch von Sommer: Knoblauch, Hitze, Staub. Die Bäume sind prall von Laub, das Wintergetreide steht kniehoch, manche Felder kleiden sich in reifes Gelb. Es ist Sommer hier am Untersee Mitte Mai und zuhause im Allgäu tragen noch immer viele Bäume kein Laub. Habe ich mich doch für den falschen Lebensmittelpunkt entschieden?

Wir krönen den Sommertag, indem wir auf dem Rückweg von unserem Termin bei der Deutschen Umwelthilfe die Fähre in Konstanz nehmen über den Obersee. Das würde ich gerne jeden Tag machen: die Fähre nehmen zur Arbeit.

*

Es dämmert, als ich die Unterlagen in den leeren Büros deponiere und weiter nach Hause fahre. Über dem nächsten Höhenzug steht eine dunkle Rauchsäule und ich weiß sofort, das dort drüben ist kein gutes Feuer. Immer weiter verschiebt sich der Rauch in die Ferne, er springt vor mir, als wollte er sich nicht fassen lassen. Über dem dritten Höhenzug bewegt er sich dann nicht mehr weg. Blaulichter blitzen über den Rücken, über den Hang verteilt oder nähern sich über schmale Straßen. Der Rauch scheint aus einem Wald hervorzusteigen, aber ein Waldbrand wäre ungewöhnlich in dieser Region, also wird es ein Hof jenseits der Bäume sein, in dem sich das Heu entzündet hat, wieder einmal.

Fast meine ich den Widerschein der Flammen zu sehen jenseits der Baumkronen, aber dafür ist es noch zu hell. Mehr noch als der dunkle Rauch sind die weit verteilten Blaulichter Beweis für den Ausnahmezustand, an dem die Normalität sich bricht und eine andere, gewalttätige und auf merkwürdige Weise kraftvolle Wirklichkeit gebiert. So entsetzlich, ja ekelhaft die Gaffer sind, die sich am Rand einer Katastrophe drängen, Helfer blockieren, nach dem Entsetzen gieren, den Skandal, so verstehe ich doch in gewisser Weise die Faszination an der Aufhebung der Normalität. Als unsichtbarer Beobachter zwischen den blau leuchtenden Fahrzeugen zu stehen, im Funkwechsel, bei den Menschen, deren Augen groß und der Atem flach vom Adrenalin sind und die doch – hoffentlich – im Falschen das Richtige tun –  diese Vorstellung lockt so sehr wie die, sich durch den Schatten der Bäume an das Feuer heranzuschleichen, an den lodernden Fraß der Flammen. Hoffentlich, denke ich mir, hoffentlich ist weder Mensch noch Vieh zu Schaden gekommen.

Drei Dörfer weiter steht das erleuchtete Tor des Feuerwehrhauses offen, der Löschwagen wartet in der Einfahrt – zu weit entfernt von der Brandstätte, um ausgerückt zu sein, und doch bereit, seinen Teil zu leisten, wenn ein Einsatzfahrzeug mehr gebraucht wird oder zehn oder zwanzig.