Flug durch Gewitterwolken

Verfüge ganz über deine Stunde, sagte sie, und ich weiß nicht, was zu tun. Denn nichts von dem, was ich eigentlich so gern getan hätte in meinem Freiraum, hat irgendeine Bedeutung – seines Sinns entkleidet, zernichtet von Müdigkeit. Dann reicht es immerhin noch dafür, ein paar Stücke von Kenny Wheeler anzuhören. Es rührt mich, welch weichen Klang er dem Blech entlockt. Meine Augen nässen sich. Das passiert mir schnell bei Musik, mir ist es unangenehm, vor Zeugen allemal, ich sollte das gar nicht erst erwähnen. Ich könnte die Trompete wieder einmal herausnehmen, denke ich mir, aber ich müsste ganz unten anfangen. Einen Ton halten, einfach nur halten. Statt brüchig zu zittern um die gedachte Tonhöhe herum, zu flattern wie ein Jungvogel bei seinen ersten Flugversuchen.

Aber der hat noch Kraft.

Ist so zielstrebig, so unermüdlich, so unfassbar gierig in seiner Weltaneignung. Wie das Kind, das lernt und lernt und abends dann nicht mehr einzuschlafen weiß, weil es so übervoll ist, weil in den neu geschaffenen Nervenbahnen womöglich Gewitter wüten, als sei das Loslassen körperlicher Schmerz, Kind, wie du dich wehrst so voll von Welt und Selbsterfahrung.

Ich will nur sinken, sinken, sinken.

10 Gedanken zu „Flug durch Gewitterwolken

  1. Bludgeon

    Hui, eine schöne Textminiatur. Wow.
    (Zwar hab ich es nicht so mit Blechbläsern, aber wechsle Flöte für Trompete und Douglas Spotted Eagle für Wheeler und siehe: Es passt auch auf mich.)

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