Abends holte ich noch einen Freund am Autobahnkreuz ab. Die Tankstelle war überfüllt. Es waren nicht die Menschen, die hier üblicherweise ihre Mitfahrgelegenheit suchen oder verabschieden, sondern junge Leute, die mir austauschbar erschienen, in sauber geputzten, mir vage merkwürdigen Autos. Ein paar saßen in Klappstühlen oder umlagerten die parkenden Wagen, andere fuhren in ihren Fahrzeugen hin und her und hin und her. Da begriff ich erst, dass die Tankstelle nicht nur Feierort für junge Leute in Zeiten von Corona war, sondern mehr noch, Anlaufstelle für getunte Autos. Immer mehr Fahrzeuge mit Spoilern und Heckflossen fuhren ein, ließen ihre Motoren heulen, Auspuffe krachten, jeder Fahrer sah ähnlich gegelt und austauschbar aus und für gewöhnliche Tankstellenkunden schien gar kein Platz mehr in diesem Treiben.
Ich parkte neben der Ausfahrt eines Autohauses, kein Ort, an dem ich ein Auto abstellen würde, aber ich wollte es ja gar nicht verlassen, ich wartete nur auf das Fahrzeug aus Leipzig, das einen Freund ausspucken und sich dann wieder auf die Autobahn schwingen würde. Mein linker Arm hing aus dem Fenster hinaus, die rechte Hand tippte auf dem Handy herum, mein Blick ging immer wieder suchend umher, um jedes Mal wieder bei dem absurden, ja mir unfassbar erscheinenden Schauspiel vor mir zu landen. Schon drehten sich ein paar der jungen Leute zu mir um und ich ahnte die Frage, was will der alte Knacker da, vielleicht lachte sogar jemand höhnisch auf, der will doch nicht etwa ein Rennen fahren. Ich fühlte mich an einen todlangweiligen Film erinnert mit dem frühen Harrison Ford, der in den Sechzigerjahren spielt und in dem andauernd junge Leute in Autos hin und herfahren, als bestünde der Sinn ihres Lebens in nichts als dem Cruisen.
Ein Polizeiwagen bog herein und ich fragte mich, wie oft sie an Freitagabenden hier wohl patrouillierten, aber da sah ich N. im schwarzen T-Shirt und mit der Tasche in der Hand, schlank und etwas abgekämpft von der Fahrt und ich winkte ihm durch das offene Fenster zu.
Am nächsten Tag stiegen wir auf den Schönkahler. Eine Genusstour, wie man so sagt, kein großes Ding, nicht einmal 1700 Höhenmeter hat der Berg. Von Genuss erst einmal keine Rede, die meiste Zeit ging es auf Forstwegen hinauf und später wieder auf Forstwegen hinab, öder ist da nur noch Asphalt. Erst ab der Pfrontner Alpe, an der ein paar Hühner auf dem Misthaufen scharrten, dann Pfade über Bergwiesen und Glockengeläut von Vieh, malerisch ein einzelner Laubbaum über einem Felsenband und recht bald der Gipfel. Der Ausblick dort dann doch schön, tatsächlich in jede Richtung sehenswert und netterweise pausierte das Wolkentreiben gerade jetzt und ließ auch mal Sonne durch. Erst als wir wieder abstiegen, machte es wieder zu. Manche Wolken trieben so dunkel, als wollten sie gleich ihre Last abladen, aber nein, ihre sie trugen ihre stumme Drohung weiter, sollten doch noch ein paar weitere Menschen erschrecken.
Wunderbar dann auf dem Rückweg der schmale Pfad ins Himmelreich hinüber, zwischen den beiden Ächsele hindurch, kaum ein Mensch unterwegs, nur ein paar Bremsen, die uns die Waden blutig stachen, sonst Stille, Weg, Gehen.
Kontrastprogramm … Cruisen vs. Wandern … schön, dass die Feuerschale den Schreibstift wieder belebt hat! Meiner ruht noch (tiefenentspannt) im Licht der Alb … Herzliche Grüße von hier nach dort!
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Liebe Silke, schön, dass du so gut angekommen bist! Genieße weiter das Licht. Ich hatte mir überlegt, in nächster Zeit zwei Tage auf der Alb zu wandern, aber das wird nun (so) doch nicht klappen.
Herzliche Grüße
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Habe den Text gern gelesen, diese mir fremden Tankstellenleute: Ja, lebe ich auf `nem andern Stern, oder was…
Gruß von Sonja
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Es lässt sich immer wieder staunen, wie viele Welten auf diesen Planeten passen …
Herzlich grüßt
Holger
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Vom Treiben an der Tankstelle bis zum Wolkentreiben – beides wirkt aus der Zeit gefallen, aber in entgegengesetzte Richtungen, die sich beide merkwürdigerweise in der Gegenwart treffen (oder verpassen).
In Berlin-Neukölln findet eine nicht genehmigte nächtliche Party in einem Park statt, zu der 5000 Leute kommen, und die mitten in der Nacht von der Polizei aufgelöst wird: auch so eine dystopische Szene aus dem seltsamen Jahr 2020.
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… oder verpassen, wie wahr. Die Geschichte mit der Auflösung eines nicht genehmigten Raves ist ein starkes Bild für dieses Jahr. Danke für den Kommentar.
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Ihre wundervolle Darstellung, lieber Zeilentiger, verdeutlicht auf geradezu schmerzliche (oder erhellende?) Weise das Auseinanderdriften von Lebenswelten. Das Kolon repräsentiert die Geschwindigkeit.
Die derzeitige Pandemie offenbart, wie sehr wir Gefangene der zeit, ergo auch der Geschwindigkeit, geworden sind. Wir alle. Dabei ist es gleichgültig, ob man dem Rausch der Geschwindigkeit verfallen ist oder ob man vom Strudel mitgerissen wird…
Schön, wieder einmal von Ihnen zu dürfen!
Herzliche Grüsse aus einer herrlich entschleunigten Fahrradwerkstatt,
Ihr Herr Ärmel
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Lieber Herr Ärmel, wunderbar, dass Sie in der Fahrradwerkstatt einen guten Raum gefunden haben! Und schön, dass Sie hier zu Besuch waren. Nicht wahr, es beschleicht einen das Gefühl, Lebenswelten drifteten schneller auseinander. Ihnen schöne entschleunigte Spätsommertage!
Ihr Zeilentigerschreiber
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„…es beschleicht einen das Gefühl, Lebenswelten drifteten schneller auseinander.“
Da kann ich Ihnen gut zustimmen. Wenn auch mit einer gewissen Sorge.
Ihnen ein erfreuliches Wochenende!
Ihr Herr Ärmel
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Ich hoffe, Sie durften seither auch einige erfreuliche Wochenenden erleben!
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