Ein Esel schreit, ein Schaf blökt, ein paar Grillen singen. Die Vögel aber schweigen in der Reife des Sommers. Strohgelbe Felder und goldenes Korn künden von Abschied. Daran ändern auch die Schweißbahnen am Körper nichts. Gluthauch hingegen ist nicht mehr. Das schafft der Sommer nicht mehr, nicht hier draußen außerhalb der Kesselstädte.
Für zwei Tage war ich hinaus, mit alten Freunden wandern, die Familie zuhause. Was ich nicht fand, war Glück, und das Ziehen von Linien mit den eigenen Füßen über die Welt bedeutet mir nichts mehr. Ich spürte es nicht zum ersten Mal, bei den letzten Wanderungen hatte die Freude am langen Gehen, am weiten Ausschreiten bereits zu versiegen begonnen. Anderes steht an.
Diese Entschleunigung aus der Entschleunigung wird noch weitergehen. Je besser die Tochter selbst geht und gehen wird, desto weniger lässt sie sich tragen. Und umso mehr will sie selbst einen Fuß vor den anderen setzen – noch an unserer Hand, aber in ihrem Tempo. In ihrer eigenen Welterkundung, jeder Schritt ein Geschenk aus Entdeckungen. Dann wird sie jeden einzelnen Stein umdrehen, wie das Kinder eben machen. Die Kunst für mich wird sein, die nächste Kurve als Horizont zu akzeptieren lernen. Das heißt dann auch: Die Beobachtung aufs Kleinste richten. Anderen ist das gelungen, selbst beim Abschreiten eines Zimmers nur. (Was sich bei Reisen dieser Art entdecken lässt, zeigte übrigens jüngst der Blog https://alltagseinsichten.com/.)
Ein Esel schreit, ein Schaf blökt, ein paar Grillen singen, das ist dann so etwas wie schwäbische Albidylle. Die beiden Freunde aus Studientagen – bald kennen wir uns länger, als dass wir uns nicht gekannt hatten – sind noch Autos rangieren, damit wir morgen am Ende der Wanderung wieder alle nach Hause kommen. Ich entzünde ein Lagerfeuer und staune wieder einmal, wie leicht das mit Anzündern geht. In meiner Erinnerung an die Kindheits- und Jugendtage, als wir das Haus mit Holz heizten und mit klammen Fingern gespaltenes Holz schichteten in den Öfen, gab es keine Anzünder, jedenfalls war mir das Feuermachen, anders als meinem Vater, verhasst.
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages beleuchten den gegenüberliegenden Hang – trockenes Gras, Felsen, Wacholder, Kiefern –, davor schlängelt sich die Lauter. Diesem Bach werden wir am nächsten Tag folgen bis dorthin, wo er am Südrand der Schwäbischen Alb in die Donau mündet. Die Freunde werden anschließend wieder nach Norden fahren und ich in die entgegengesetzte Richtung. Ich freue mich jetzt schon, meine Tochter wiederzusehen und sie auf die Arme zu nehmen. Ich vermisse sie. Nicht durchgehend, aber doch zu der Zeit, in der ich sie vielleicht ins Bett gebracht hätte, wäre ich zuhause. Ich vermisse sie, obwohl ich sie doch erst am Morgen noch gesehen hatte. Das hätte ich früher nicht gedacht, dass ich so empfinden würde. Gestern, als sie unerwartet drei freie Schritte auf mich zugetan hatte, spürte ich vor Ergriffenheit eine Träne im Augenwinkel. Auch das hätte ich nicht erwartet von mir.
Neue Erfahrungen erlauben uns, uns immer wieder selbst zu überraschen. Das, begreife ich, ist ein Schatz, den wir in uns tragen.
…und diesen schönsten aller Schätze heben unsere Kinder. So schön ist das Leben.
LikeLike
Aber hallo. Habe heute schon wieder etwas Tolles lernen dürfen.
LikeLike
Danke, Holger, nach wie vor lese ich deine Texte sehr, sehr gern! Viele Grüße Eberhard
Hier im Gegenzug ein paar neue Fotos vom Bärensee:
>
LikeLike
Lieber Eberhard, ich freue mich jedesmal, von dir zu hören. Ich hoffe, dir geht es gut in der ollen alten Kesselstadt. Und schön, dass du weiter die Welt in Bildern einfängst.
Herzliche Grüße
Holger
LikeLike
Hüte den Schatz 🍀
LikeGefällt 1 Person
Ich werde mich bemühen! 🙂
LikeLike
Alles in Ihrem Bericht gipfelt im letzten Satz. Den unterschreibe ich. Beim Lesen fiel mir wieder ein, dass ich als Kind nicht auf Bäume klettern und bei den Pfadfindern kein Feuer entzünden konnte.
Als mir Jahre später jemand freundlich zeigte, wie sowohl das eine als auch das andere zu bewerkstelligen ist und es mir schlussendlich selbst gelang, war ich stolz und froh.
Wie wichtig sind Menschen, die uns helfen, unsere Horizonte zu erweitern.
Zum Thema k(l)eine Reisen erlaube ich mir, auf einen Bereicht in meinem Blog hinzuweisen: https://fotografieundtext.wordpress.com/2013/11/11/wenn-einer-keine-reise-tut/
Ich wünsche Ihnen viel Lebensfreude beim Sammeln neuer Erfahrungen,
Ihr Herr Ärmel
LikeLike
Das ist ja eine schöne Geschichte: Wie Sie sich diese Taten später noch angeeignet haben. Ein guter Grund, froh und stolz zu sein!
Lieber Herr Ärmel, herzlich grüßt Sie
Ihr Selten-Zeilentiger-Schreiber
LikeGefällt 1 Person
P.S. Danke für Ihren Hinweis auf den frühen Ärmel.
LikeGefällt 1 Person
Spät, aber von Herzen….Danke fürs Verlinken 🤗
LG, Kerstin
LikeGefällt 1 Person