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Don‘t you mind people grinnin‘ in your face

Den Goetz angefangen. Eine Karte lag bei – „intellektuelles Futter für dich auf dem Berg“ – und ein Exemplar der Le Monde diplomatique, deutsche Ausgabe natürlich, und ich fühlte mich wirklich wie auf einem Posten im Busch, einem Herzen der Finsternis, schwarz und träge wie Melasse, auch wenn da keine Schrumpfköpfe auf den Pfählen stecken, denn hier wird ja alles niedergemacht, Baumgemetzel, bevor der Frühling kommt, und letzte Woche zur gleichen Zeit schon wieder die immer größer werdenden Traktoren, die immer größere Mengen Gülle ausfahren in ihrer mörderischen Logik eines Größerwerdens, Wachse oder weiche, und es ist ja ein Witz, dass die Leute immer noch ins Allgäu in den Urlaub fahren, denn das ist nur noch die Parodie einer Landschaft. Und dann also der Goetz, Dekonspiratione, von den Feuilletonisten verrissen damals, und ich komme kaum mehr los von dem Buch, und ich notiere mir, auf dem Rücken liegend: Ich will gegen die Mauern anschreiben, die mich hier einengen. Such dir alles, was Widerstand bietet, und dann schreib darüber.

Der nächste Tag dann wieder Müdigkeit, Broterwerb, Kopfschleimkanäle, draußen Schnee. Die Knoblauchsoße mittags genial immerhin.

Burning Chrome

„So fühlt man sich gehalten, durch was, was man selber nicht ist, auch nicht alleine machen könnte, nicht irgendwie herstellen könnte nur so für sich, was einen als einen weit überschreitet: die schöne Aktion sozialer Systeme.“ (Rainald Goetz, Rave)

Was ist denn eigentlich dieses Oberammergau? Was ist es unter dieser Maske, dieser Oberfläche aus touristischer Infrastruktur, die den ganzen Ort überzieht? Das frage ich mich, als ich in einem Eiscafé einen Cappuccino trinke nach der zähen Fahrt. Ich hebe den Blick, tiefe Wolken wehren ihn ab. Immerhin regnet es nicht, denke ich mir, nur auf der Höhe von Schongau hatte es kurz geregnet, dort wo mir der Weg unbekannt wurde. Könnte ich sicher sein, dass es abends nicht gefriert, denke ich mir und rühre den Milchschaum unter den Espresso, dann könnte ich später über Tirol und den Plansee zurückfahren. Aber bei diesem Wetter kurz vor Winter will ich kein Wagnis. Am Vortag überquerten wir den Schwarzwald bei Schneefall.

Toni lässt sich ächzend nieder, das Alter und sein Gewicht setzen ihm zu. Er faltet eine Zeitung auseinander, gibt seine Bestellung auf und kommentiert: „Dia Grünen wer’n immer blöder.“ Jetzt wollen sie schon Dieselmotoren verbieten. Salomonisch verweist der Wirt auf die Blödheit aller Politiker. Draußen sinken die Temperaturen, schwindet das Licht, die Berghänge verblassen. Ich bestelle ebenfalls ein Eis.

Die Windschutzscheibe war voller Marderspuren und ich machte mir Sorgen, aber das Fahrzeug läuft, als ich erst nach Osten und dann nach Süden fahre, um in Oberammergau einen Menschen zu treffen, den ich bisher nur übers Bloggen kannte. A. ist gerade aus Berlin auf Heimatbesuch, die Gelegenheit wollen wir nutzen. Beinahe hätten wir schon einmal in Charlottenburg ein Buch getauscht, aber jemand war schneller gewesen. Auf der Fahrt höre ich eine Hörspielfassung von „Träumen Roboter von elektrischen Schafen“ und dann höre ich Cyberpunkgeschichten von William Gibson. In Luftlinie sieht es nicht sehr weit aus, von einem Hügel zuhause hinüber Richtung Zugspitze und da ein bisschen davor. Die Fahrt aber zieht sich.

Ich bezahle und gehe die Straße hinauf zwischen Hotels und Restaurants und Sportgeschäften mit ihren hölzernen Voralpenfassaden. Im Kinocafé trefen wir uns, es hat neu aufgemacht. Schlechtes Karma, meint A., der Besitzer wechselt oft. Sehr bald sprechen wir über W.G. Sebald, unser beider Held, wenn man so will und ein guter Ausgangspunkt. Thomas Bernhard ist immer dabei, das geht ja auch gar nicht anders. Herrndorfs Nachlassroman „Bilder deiner Liebe“ hat mich sehr enttäuscht, sage ich, weil er zu nichts führt, nirgendwohin. „Wenn er so schreibt, dann schreibt er eben so“, sagt A. mit seinem bairischen Schlag über Knausgard, den er nicht gelesen hat. Wir essen einen georgischen Happen, an der Wand hängt die Fahne des Kaukasusstaates. Die Menschen, die ins Café oder das Kino gehen, sagen alle „Griasd eich“ und die Frau des Wirtes ist Konzertpianistin und hat einen jungen Schüler aus Leipzig zu Besuch, die Familie ist eigens hierhergefahren. Ich notiere mir: Rainald Goetz, Robert Walser, Alexander Kluge („nervt manchmal“). Wir treten vor die Tür für eine Zigarette. A. raucht, ich nicht. Der Mann aus Leipzig ist auch da.

Im Dunkeln dann zurück, mir graust es, denn ich fahre nicht gern im Dunkeln. Ich höre Gibsons „Burning Chrome“ weiter und als die CD durch ist, lasse ich sie einfach von vorne laufen. Mir ist es, als flöge ich blind durch die Nacht und trotzdem drängen andere Autos immer noch hinter mir. Zum zweiten Mal höre ich den Tanz von razor girl Molly auf dem „Killing Floor“ gegen den Yakuzamörder mit seiner Monofilamentpeitsche, höre die Erinnerungen des Gejagten aus seinem Schlafsarg im New Rose Hotel, über dem der Hubschrauber knattert.

Dann bin ich zuhause. Alles fühlt sich unwirklich an. In den Ohren rauscht es und ich suche die Koordinaten meiner Selbst.