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Lob der Stadt

Ein Paar Scheinwerfer, zwei Rücklichter, das trübe Licht eines Bauernhofes, der Rest ist Dunkelheit.

Novemberabende musst du in der Stadt verbringen. Lichterketten schälen sich aus dem Nebel, ganze Hänge sind illuminiert, allerortens Farben in einer Zahl und Raffinesse, die du vergessen hattest, das Leuchten ein Staunen. Licht reflektiert auf dem regennassen Boden, an Glas, Stahl und Chrom, an Sandsteinfassaden, die dem Auge mit jedem Schritt Neues bieten, ein Kaleidoskop menschengeschaffener Schönheit aus einer Ära der Fußgänger. Durch das vornehme Holz der Raucherbar nach oben, ein Glas Wein, dessen Preis keine Rolle spielt, auf weißem Leinen und der Blick hinab auf die Gasse. Später beim Gang durch vertraute Straßen das Wunder grün belaubter Bäume und Kerzenschein hinter Glasfassaden, um das sich Menschen versammeln, Schatten im Glück, und ich erinnere mich an Küsse, die hier ihren Anfang oder ihr Ende nahmen. Und dann irgendwann stehe ich in der Küche, die mir so winzig vorkommt und wo ich doch so wunderbare Menschen zu so wunderbaren Abenden um mich hatte und nie ist mir Stuttgart so schön erschienen wie an diesem Abend.

Zuhause zwei Rücklichter auf der Landstraße und der Schrei eines sterbenden Tieres in der Finsternis.

Es ist doch merkwürdig, denke ich mir später …

Es ist doch merkwürdig, denke ich mir später, als ich aus dem Dachgeschossfenster hinunter auf die Stadtmauer schaue. Da fühle ich mich wie an einem ersten Urlaubstag und dabei beginnt morgen für mich eine neue Arbeit in einer neuen Branche. Aber vielleicht passt das in Wahrheit ganz gut zu einem ersten Urlaubstag: diese Erschöpfung von der Anreise, überreizt von den vielen Eindrücken, nervös vor dem, was da kommen wird. Und diese Wohnung, die ich eben betreten habe, ist mein Feriendomizil – sie wirkt tatsächlich so mit ihrem Holz und ihren Fliesen und ihren Terrakottafarben – und das da draußen ist eine mediterrane Illusion.

An den Busbahnsteigen sind Dörfer und Marktgemeinden des Allgäus und Mittelschwabens angeschrieben, aber der einzige Bus, der zu dieser abendlichen Stunde fährt, ist der Fernbus nach Berlin. Ob darin diese Schwaben sitzen, die in der fernen Hauptstadt ihr Glück zu machen versuchen, Prenzlauer Berg, Schwabenhass? („Es ist selten, dass einer aus Stuttgart nicht nach Berlin zieht“, hatte mein Vinylhändler zum Abschied gestaunt.) Ich erkenne die Gesichter hinter den Scheiben nicht, es ist bereits zu dunkel dafür.

Die Lichter über mir springen an. Ich sitze nach einigen furchtbar kalten Sommertagen auf einer Bank des Busbahnhofes und friere nicht, und ich zögere diesen Moment des Aufbruchs noch hinaus, wenn ich hinübergehen und den Schlüssel im Schloss drehen und die Wohnung betreten und die Taschen abstellen und mich umschauen und wissen werde, wenn ich mich in das fremde Bett lege und die Augen wieder aufschlage, wird eine neue Zeit angebrochen sein. Es schmeckt nach Spanien, nach Andalusien.

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