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Leipzig Süd

Der Guss der Milch aus dem Gelenk der beringten Hand in das Rund der Kaffeetasse.

Buchweizentarte auf weißem Marmor, der Espresso Perfektion in der angemessenen Schlichtheit seiner Tasse. Tulsi-Kräutertee und Eisenkraut, beides duftend, im einen Kännchen senkt sich das Teesieb nicht ganz, im anderen das Kraut nicht, das an der Oberfläche schwimmt, bis der Löffel es hineintunkt ins heiße Wasser.

Cafés als Ruhepole, in denen es mir gelingt, was sonst schwierig: zweckfrei nichts zu tun und mich selbst dabei zu ertragen.

Blauer Glanz der Dämmerung.

Falscher Adel

Am höchstgelegenen zweigleisigen Bahnhof Deutschlands wechsle ich unter Nieselregen das Gefährt. Es ist doch erstaunlich, welche Superlative sich Menschen aus den Fingern saugen. Der ausgehängte Rekord ändert allerdings nichts daran, dass mich die Bahn in einen schäbigen, ohne Abstriche schäbigen Raum lotst, in dem sich nicht mehr befindet als ein Fahrkartenautomat zwischen Elend und Leere. Wie die Deutsche Bahn ihre Kunden abseits der großen Bahnhöfe behandelt, ist recht besehen eine ungeheure Zumutung. Oder ist das Konzept regionaler Eisenbahn in Wahrheit schon längst bankrott?

Der Sonntagmorgenzug ist erstaunlich voll, über einen Mangel an Fahrgästen kann sich die DB also eigentlich nicht beklagen. Eine Gruppe zierlicher, dunkler Mädchen in strahlendweißen Gewändern ist auf dem Weg zum eritreischen oder äthiopischen Gottesdienst, das Haar hochgetürmt unter einem weißen Schleier. Weiter fahren ein paar Vorarlberger, aus Österreichs westlichstem Bundesland zum Münchener Flughafen. Zwei Stunden sind sie schon unterwegs für gerade mal 100 km Luftlinie, höre ich. Die großflächige Elektrifizierung der Allgäuer Eisenbahn steht eben immer noch aus. „Des kasch gar it usspreche mit langem I“, kommentiert eine aus der Gruppe das Bahnhofsschild von Biessenhofen. Genau das, was ich am Tag zuvor dachte, als ich von Rieggis, ein gutes Stück weiter im Westen des Allgäus, aufbrach zu einem Spaziergang.

Als ich in Kaufbeuren aus dem Zug steige, ist es wieder trocken, der östliche Horizont ist finster, aber dort bin ich ja nicht. Die weißbeschleierten Kirchgängerinnen ziehen kichernd durch den Park, ein junger Mann im Anzug kommt entgegen, er wirft, absichtlich ruppig, sein Rad mitten auf den Weg und betritt den Bahnhof. Das ist wahrlich ein wunderliches Verhalten, das finden die Mädchen ebenso wie ich. Hätte ich den jungen Mann ansprechen sollen?

Antifa-Aufkleber an Laternenmasten, sie sind mir seit den Ausschreitungen während des G20-Gipfels lächerlicher als je zuvor, aber eine Überraschung ist das ja nicht, das wusste George Orwell schon in „Homage to Catalonia“, als er den Republikanern im Spanischen Bürgerkrieg gegen die Falangisten beistand und bald seine Illusionen begraben musste. Ich darf, ermahne ich mich da, nicht den Fehler begehen, jeden Menschen, der sich mit der Antifa identifziert, mit den Plünderern von Hamburg gleichzusetzen. Aber es bleibt dabei, die Antifa tritt doch immer und immer wieder in einer Geste des Geschreis, der Gewalt, des Hasses auf. Nein, der Widerstand gegen rechtsextremes Treiben muss sich auf anderes gründen, meine ich. Da passiere ich das Mahnmal für ein Außenlager des KZ Dachaus. „Mitläufer. Und du?“, steht da. Das ist wohl einzuüben, jeden Tag aufs Neue, individuell und erst recht gemeinschaftlich.

Ich irre durch Hässlichkeit aus Beton und Asphalt, bis ich die Altstadt finde, die Straßen sind leer, das Stadttheater spielt „Die Vögel“ nach Aristophanes. Als diese Komödie in Athen geschrieben wurde, war Kaufbeuren nicht mehr als ein paar alte hallstattzeitliche Grabhügel und eine kleine bronzezeitliche Siedlung inmitten des feuchten Urwalds der Voralpen. Über die ersten Gassen spannen sich Wimpel, das Café Italia sucht eine Nachfolge, Ablöse möglich. Dann sind die Straßen aufgerissen, Zug um Zug Schotter und Schlamm, vor den Ladeneingängen schmutzige rote Teppiche. Ein Hahn kräht, ganz unerwartet in der Altstadt, vielleicht lebt er im Kloster der Stadtheiligen Crescentia. Ein Glatzkopf im Kapuzenkittel zerrt an einem Hund gigantischen Ausmaßes.

Der Regen hat die Stadt nun doch erreicht, ich betrete ein Café. „La Baronessa“ gibt sich elegant und fein und mundän und ist doch nur Schein, das ist sofort augenscheinlich. Beautywerbung für die Proseccodamen steht neben der Speisekarte auf den Tischen, aus den Lautsprechern läuft der Radiosender Antenne Bayern. Die Karte bietet ein Viagrafrühstück („mit einer Latte …“, so steht es da) und ein Familienvater entblödet sich nicht, genau dieses zu bestellen.

Womöglich soll ja der überlaufende Milchschaum auf meinem Cappuccino Ausgleich für diese Ansammlung von Geschmackslosigkeiten sein. Die Jacke fühlt sich jedenfalls gleich weniger regenfeucht an.

Sperlinge

Dieses charakteristische Klopfen, mit dem der Siebträger geleert wird, das Mahlen der Bohnen, ein sattes Klacken aus dem Handgelenk heraus, dann zischt die Maschine sanft und ein winziger, konzentrierter Schluck Espresso schäumt in die Tasse. So mag ich meinen Kaffee, jeder andere zählt im Grunde nicht.

Die Plätze draußen sind alle besetzt. Am Tisch vor dem Fenster sitzen drei nicht mehr junge Frauen mit langem blonden Haar und einem Oberklassenchic, der dem Ideal der Landeshauptstadt nacheifert. Gegenüber ein paar sehr männliche Männer mit Bärten und Sonnenbrillen, hörte man die Männer nicht, wüsste man nicht, sind es dunkle Italiener oder modische Araber. Dort die hübsche, auf natürliche Weise faltig gewordene Ökofrau mit dem sanften Blick, über den sich ihre Lider schließen, als sich das Gesicht der Sonne entgegenstreckt. Junge Menschen in Funktionsjacken, bereit für jedes Wetter, jeden Berg. Rentner, als junge Männer über die Alpen nach Norden gezogen, in geplusterten Jacken, die es erlauben, lange im Wind zu sitzen, sitzen und reden und sitzen und reden und immer wieder Hände schütteln, wenn sich etwas an der Zusammenstellung der Runde ändert.

Ein Mann mit dunklen Locken – offenes Hemd, Bart, Rundglasbrille – und einem breiten Lächeln über dem Revolutions-T-Shirt umarmt die blonde Schickeria, grüßt mit einem „Griaß di“ und Handschlag die eben noch italienisch sprechenden bärtigen Männer. Eine Familie aus dem österreichischen Vorarlberg auf einem Tagesausflug – es muss ja nicht jedes Mal Bregenz sein -, nun ein Büromensch in rosafarbenem Hemd bei seiner täglichen Kaffeepause, dann … Ach, was will ich da noch aufzählen, Menschen eben sind es, die hier den vielleicht besten Kaffee der Stadt und darüber hinaus genießen, in diesem kleinen Café mit seinem dunklen Holz, den Süßigkeiten, seinen Baristakursen, dem Lächeln hinter der Theke.

Draußen fliegen Spatzen tief über das Pflaster auf der Jagd nach Krümeln, segeln um wandernde Schienbeine, umkurven ruhende Waden, Teil des kleinen Glücks.