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Gedanken beim Queren einer Brücke

Gen Bregenz quert die Bahn einen Fluss, er kommt aus den zum Greifen nahen Bergen herab. Gemächlich schwimmen Menschen im grünen Wasser, nicht eiserstarrt wie in den Alpenbächen, sondern als sei es eine absolute Selbstverständlichkeit, im Sommer im Fluss zu schwimmen. Stein, Wasser, Wind, Wärme, Licht an der bloßen Haut und schon ist der Zug weitergerollt, der Fluss verschwunden. Eine ungeheure Sehnsucht bemächtigt sich meiner. So, schreit etwas in mir auf, so will ich leben, nicht tage-, nein wochen-, monatelang.

Im Allgäu loben die Menschen ist das wieder ein guter Sommer und ich, ich verstehe nicht, was sie sagen und warte noch immer auf ihn.

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… und glühen, so sehr es nur geht!

Es gibt ein Kleidungsstück, das wie kaum etwas anderes für Glück, für das gute Leben steht. Man nehme eine alte, rissige Jeans und schneide sie – möglichst nachlässig, vielleicht schief mit einem Küchenmesser – unter den Knien ab. Je öfter die Hose bereits geflickt wurde, desto besser. Jeder neue Riss im Stoff ist zu begrüßen. Fransen hängen herab, manchmal fallen sie aus wie die Federn eines Vogels. Die gute Zeit, das gute Leben ist dann, wenn ich diese Hose – und möglichst: nur diese Hose – tragen darf. Wenn es nach mir ginge, dürfte das einen ganzen Sommer lang sein oder auch eine Ewigkeit – den Ewigen Sommer, einem zeitenthobenen Glück voller Wärme, das wir lachend, frei, mit kupferfarbenen Schultern durchstreifen. Ein Traum vom verlorenen Paradies und zugleich Erinnerung an eine Kindheit, wie ich sie so vielleicht gar nicht hatte.

Heiß die Sonne am Morgen schon im Frankenlande. Verschwenderisch die Landschaft und sonnenvoll: Getreidefelder, warme Hügel, üppige, süße Kirschen in unendlicher Fülle – ich denke an die kleinen, sauren Früchte meiner Großmutter im Allgäu, überhaupt das Allgäu in seiner ganzen Unterkühltheit ein einziger Kontrast dazu. Vor zehn Uhr morgens nehmen wir bereits den ersten Schluck Bier im Garten einer jener fränkischen Kleinbrauereien, aber das lassen wir dann schnell wieder, denn Alkohol und Ausschreiten, das geht nicht gut zusammen. Der Gesang der Grillen begleitet uns zwischen den schmucken Dörfern – Sandstein, Fachwerk, am Ortseingang ein Schild mit allen wichtigen Terminen: Johannisfeuer, Kirchweih, Erntedank -, eine Steige im Wald, dann wieder das Gold der Äcker. Mittags schließlich ein stählerner Glanz in der Luft. Ich frage mich, ob der Hochsommer 1914 auch diesen Glanz hatte und die Menschen zu der wahnsinnigen Vorstellung verleitete, der ausbrechende Krieg sei nichts als ein reinigendes Gewitter.

„Der Sommer geht“ heißt ein Roman, der mich damals mit 16 sehr beeindruckt hatte. Und es liegt ja im Glück jedes heißen Sommertages bereits der Stachel seines Endes. Lachen oder weinen? Die wärmsten Wochen stehen uns noch bevor, die Küche duftet nach Olivenöl, Weißwein, Knoblauch und Thymian, es ist gen Mitternacht und noch immer warm. Also lachen – lachen und genießen! Das Morgen und die Vergänglichkeit des Sommers vergessen und glühen, so sehr es nur geht!

Mit Dank an Benjamin R.

Erinnerung bei der Betrachtung des Raureifs

Weggeräumt den Kot der Fledermäuse, die über dem Dachbalken einen Eingang gefunden haben. Weggeräumt das letzte Waldwesen aus Holz, Draht und roter Zunge von der Schnitzeljagd einst im Februar. Weggeräumt Staub und einen rostigen Schlüssel von den Fliesen. Das Sofa, neu auf dem Balkon, habe ich dann mit Tolstoj eingeweiht. Das kann natürlich nur der Anfang gewesen sein.

„We were talking – about the space between us all“, an einer Stelle hängt die Platte, Henry the Horse galoppiert, bis ich die Nadel anhebe, ein Hi-Hat läuft auf der Zeitachse rückwärts, niemals hatte Ringo Starr das Schlagzeug live so spielen können, wie wir es hören, ein Mückenstich juckt, nur Minuten nach dem Angriff. „Du willst es scharf?“, hatte der Koch heute gefragt und mir eine tückische Chilischote auf den Teller gelegt, zu dritt haben wir sie nicht geschafft, denn sie war die vegetabile Hölle. Wenn nur die Müdigkeit nicht immer wäre, wie das nur juckt, solch ein kleines Tier. Der Tag erlischt hinter den Eschen, es verströmt die Nacht über der Welt, und ich weiß nicht, ist es Anfang oder Ende.

Rauch

Über dem Parkplatz am äußersten Rand der Stadt der Geruch von Sommer: Knoblauch, Hitze, Staub. Die Bäume sind prall von Laub, das Wintergetreide steht kniehoch, manche Felder kleiden sich in reifes Gelb. Es ist Sommer hier am Untersee Mitte Mai und zuhause im Allgäu tragen noch immer viele Bäume kein Laub. Habe ich mich doch für den falschen Lebensmittelpunkt entschieden?

Wir krönen den Sommertag, indem wir auf dem Rückweg von unserem Termin bei der Deutschen Umwelthilfe die Fähre in Konstanz nehmen über den Obersee. Das würde ich gerne jeden Tag machen: die Fähre nehmen zur Arbeit.

*

Es dämmert, als ich die Unterlagen in den leeren Büros deponiere und weiter nach Hause fahre. Über dem nächsten Höhenzug steht eine dunkle Rauchsäule und ich weiß sofort, das dort drüben ist kein gutes Feuer. Immer weiter verschiebt sich der Rauch in die Ferne, er springt vor mir, als wollte er sich nicht fassen lassen. Über dem dritten Höhenzug bewegt er sich dann nicht mehr weg. Blaulichter blitzen über den Rücken, über den Hang verteilt oder nähern sich über schmale Straßen. Der Rauch scheint aus einem Wald hervorzusteigen, aber ein Waldbrand wäre ungewöhnlich in dieser Region, also wird es ein Hof jenseits der Bäume sein, in dem sich das Heu entzündet hat, wieder einmal.

Fast meine ich den Widerschein der Flammen zu sehen jenseits der Baumkronen, aber dafür ist es noch zu hell. Mehr noch als der dunkle Rauch sind die weit verteilten Blaulichter Beweis für den Ausnahmezustand, an dem die Normalität sich bricht und eine andere, gewalttätige und auf merkwürdige Weise kraftvolle Wirklichkeit gebiert. So entsetzlich, ja ekelhaft die Gaffer sind, die sich am Rand einer Katastrophe drängen, Helfer blockieren, nach dem Entsetzen gieren, den Skandal, so verstehe ich doch in gewisser Weise die Faszination an der Aufhebung der Normalität. Als unsichtbarer Beobachter zwischen den blau leuchtenden Fahrzeugen zu stehen, im Funkwechsel, bei den Menschen, deren Augen groß und der Atem flach vom Adrenalin sind und die doch – hoffentlich – im Falschen das Richtige tun –  diese Vorstellung lockt so sehr wie die, sich durch den Schatten der Bäume an das Feuer heranzuschleichen, an den lodernden Fraß der Flammen. Hoffentlich, denke ich mir, hoffentlich ist weder Mensch noch Vieh zu Schaden gekommen.

Drei Dörfer weiter steht das erleuchtete Tor des Feuerwehrhauses offen, der Löschwagen wartet in der Einfahrt – zu weit entfernt von der Brandstätte, um ausgerückt zu sein, und doch bereit, seinen Teil zu leisten, wenn ein Einsatzfahrzeug mehr gebraucht wird oder zehn oder zwanzig.

Kreischen unterm Brunnenbogen

Die Wolkengebirge am schwäbischen Himmel wirken wie gemalt oder nein, vielleicht eher wie ein Scherenschnitt und rückseitig illuminiert, wo die untergehende Sonne ihre Kanten erstrahlen lässt. Der Abend ist zu genießen. Menschen bevölkern den Platz bei einem Weizenbier vor dem Rohrbecks. Springbrunnen plätschern, ein blonder Pferdeschwanz läuft barfuß über den augustwarmen Asphalt und die Welt könnte so schön sein.

Aber das hysterische Schreien einer Frau – vielleicht von ihrem Mann betrogen oder von ihrem Kleinkind bis zur völligen seelischen Erschütterung erschöpft – aus einem weit geöffneten Fenster zerstört die Illusion. Das Glühen der Wolkenränder erlischt, gegenüber an der Filiale der Drogeriekette rumpeln die Warenboxen des Lieferanten, ein provinzieller Sportwagen röhrt und das alkoholfreie Weizen ist doch nur ein Franziskaner.

Dann kreischt ein gelockter Knabe vor Entzücken unter dem Brunnenbogen auf und alles ist wieder gut für diesen Augenblick.

Fensterblicke

Sterne am Himmel, Hornissen im Haus. Noch ist es später August.

*

Solch ein Tag, an dem man Herrndorf und Houellebecq kauft, ganz spontan, als ich aus dem Bus hinaus in die Sonne trete. Und später ein Rätsel: die Vorzeichen nach der Lektüre genau umgedreht.

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Die Kühe vor dem Fenster grasen unbeirrt, über den Fichtenwipfeln ziehen Nebelfetzen, ein Vogel stemmt sich gegen den Herbstwind. Zeit, die erste Holzdecke abzuschmirgeln. Zeit für Uriah Heep und einen starken Kaffee und Taten.

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Das rotlackierte Cockpit eines Segelflugzeugs, ein Elektromotor, ein KfZ-Nummernschild – ich weiß nicht, wie das Modell heißt. Leichtbau und eine Scheibe aus finnischem Glas, dahinter die Nacht, als wir den Hügel hinabrollen, durchs Dorf und weiter zum Bahnhof. Der Gast immer zwischen der Sorge, von einem Auto überrollt zu werden, und der Vorfreude, sicher gleich in den Himmel aufzusteigen.

Wir sind dann doch auf dem Boden geblieben. Mein Schritt aber war danach beschwingter.

*

Pastellfarben über der schwarzen Linie des Horizonts. Ins Tintenblau der Höhe ziehen zwei Flugzeuge Parallelen. Erste Sterne, noch zaghaft vor dem roten Blinken eines Windrades. Der Grund bereits Nacht, Wiesen und Wälder untrennbar zu Schwarz zerflossen.

Aprikosen_Fenster_Sommer

Eine Erinnerung an den Sommer

Unter der Burgmauer die schwäbische Toskana …

Unter der Burgmauer die schwäbische Toskana. Das liegt natürlich in erster Linie an der Reihe Zypressen dort drüben. Aber auch an der hügeligen, kleinteiligen, malerischen Landschaft: Äcker, Haine, Streuobstwiesen, kurzgefressene Schafsweiden. Die steilen Hänge der Schwäbischen Alb, wie scharf abgeschnitten, sind von Mischwäldern bedeckt, oben auf dem Traufrand reihen sich Burgen, dahinter erstreckt sich die Hochebene der Alb. Dem Mittelgebirge zu Füßen, nach Westen und Norden hin, ziehen sich Hügel Linie um Linie in den bläuenden Dunst.

Es ist die Landschaft, die ich verlassen habe, um in meine Heimat zurückzukehren. Rückkehr kann so schön sein – in beide Richtungen.

Ich stehe seit Stunden schon in Wolken ausschwärmender Flugameisen, droben im Himmel das Dröhnen historischer Flugzeuge, der September brennt heiß wie ein Sommer, doch das Herbstlicht sinkt schwere nieder. Glücklich sind die Hochzeitsgäste, ergraute Männer duzen mich auf Augenhöhe, was mir gefällt, Hände liegen auf warmem Stein oder an kühlem Glas.

Grillen rufen die Dämmerung herbei, dieser Sommergesang warmer Landstriche, der im Allgäu viel verhaltener ist, und Wind kommt auf. Wüsste man, dass man morgen stürbe, könnte die Antwort nur lauten: „Ach, aber jetzt ist es schön.“

Wein vom bayerischen Bodensee …

Wein vom bayerischen Bodensee wird hier verkauft – ich wusste nicht einmal, dass es dort solche Reben gibt -, samstags und am Dienstagabend im ersten Stock. Das Haus daneben wird die Stadt ab Herbst mit Biokäse verwöhnen. Noch ist alles hinter den Schaufenstern Baustelle, unverhüllt und offen wie als erster Beweis der Transparenz und Authentizität, die Bio verspricht. Aber noch ist ja Sommer, irgendwie, an diesem 2. September. Die kurz abgeschnittene Hose freut sich in der Abendluft trotzdem schon auf dem Winterschrank.

Die Beine darunter aber, noch immer blass, auf den nächsten Sommer schon.

Blues_Leben_Weisheit_Memmingen

Ein Märchen von Rapunzel, 3

​Abends, da war es noch August, wandere ich von Rapunzels Turm durch den Gotteswald hinüber nach Württemberg, um Kartoffeln aus einem Acker zu klauben. Mit Zustimmung des Eigentümers natürlich. Er macht mir dafür auch ein Bier mit der Zinke seiner erdigen Spatengabel auf.

Wir sollten öfter abends noch auf dem Acker stehen, denke ich in der Dämmerung. Und fühle mich so frisch wie seit Tagen nicht mehr.

​Ich möchte wieder zurück an die lichtblauen Wasser des Lechs …

​Ich möchte wieder zurück an die lichtblauen Wasser des Lechs, wo nachts Feuer auf den Kiesbänken brennen. Ich möchte mich wieder Steigungen emporarbeiten, bis der Körper jubelt vor Glück. Ich möchte wieder vom Föhrenstrand aus in das weiche Grün des Sees hinausschwimmen, der Sonne entgegen, an den Flanken die jähen Hänge unerschütterlicher Berge. Ich möchte wieder mit vertrauten Menschen diese Wege gehen, so reich an Eindrücken und Lachen und Gemeinschaft.

Lech_Fluss_Wasser_Reutte_Sommer

Nur ein jämmerlicher Abklatsch der Realität (Telefonknipse)